„Ich mag Bilder und ich mag Worte“: Marie Schröer im Comic-Steckbrief
In unserer neuen Interviewreihe sprechen wir mit Wissenschaftler*innen über die Erforschung von Comics als Medium, Kunstform und kulturelles Phänomen. Den Anfang macht Marie Schröer, Kultur- und Literaturwissenschaftlerin an der Universität Potsdam.
Dass Comics nicht zwingend komisch und nur für Kinder sind, hat sich inzwischen rumgesprochen. Darüber hinaus ist das wissenschaftliche, kulturelle und gesellschaftspolitische Interesse an ihnen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Wie genau, damit beschäftigt sich unsere interdisziplinäre, gerade in Entwicklung befindende Buchreihe „Comicstudien“, herausgegeben von Juliane Blank, Irmela Krüger-Fürhoff und Véronique Sina.
In der dazugehörigen Interviewreihe „Comic-Steckbriefe“ auf De Gruyter Conversations sollen die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats von „Comicstudien“ zu Wort kommen. Neun Comicforscher*innen erzählen von ihren persönlichen Interessen und ihrer Arbeit und wagen Ausblicke in die Zukunft der Comicstudien.
Das erste Interview führten die „Comicstudien“-Herausgeberinnen mit Prof. Dr. Marie Schröer, Kultur- und Literaturwissenschaftlerin mit semiotischem Schwerpunkt an der Universität Potsdam. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit französischsprachigen autobiografischen Comics. Außerdem ist sie Mitorganisatorin des Berliner Comic-Kolloquiums, freie Kultur-Journalistin und gehört verschiedenen Comic- und Literatur-Jurys an.
Was interessiert Dich generell an Comics?
Marie Schröer: Comics faszinieren mich, weil sie anders erzählen als Romane, Filme oder Einzelbilder. Die Dynamiken, die sich aus dem Zusammenspiel von Text und Bild ergeben sind (anders als ein immer noch perpetuiertes Vorurteil besagt) unheimlich komplex, die Potentiale der unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten schier unendlich. Comics können alle Stoffe behandeln, durch die Bildebene können sie z.B. provokante, diffizile Themen sowohl grafischer/expliziter als auch metaphorischer/subtiler anschneiden. Sie können fröhlich und frei verschiedenste Register kombinieren. Dadurch dass sich Comics oft abseits des regulären, bisweilen kanon- und konventionsfixierten Literaturbetriebs entwickelt haben, sind sie oft weniger domestiziert und standardisiert als andere literarische Produktionen. Nicht zu vergessen: Sie sind oft einfach auch schön anzusehen. D.h. sie laden zum unmittelbaren ästhetischen Konsum ein; andere Zusammenhänge erkennt man dann erst bei der konzentrierten Lektüre, aber die Schönheit oft auch auf den ersten Blick. Ich mag Bilder und ich mag Worte; das ist vermutlich eine gute Voraussetzung zum Mögen von Comics.
Was für Comics findest Du toll? Hast Du eine*n Lieblings-Comickünstler*in oder einen Lieblingscomic?
MS: Ich finde sehr unterschiedliche Comics toll. Aktuell bin ich Fangirl von Anna Haifisch, die mit eher reduzierten und krakeligen Tierchen und Neon-Farbkombinationen mit hohem Wiedererkennungswert sehr lustig und sehr wahr von Künstler*innen und unser aller Neurosen erzählt. Klassische Comicstrips (die Haifischs Arbeiten sicher auch zugrunde liegen), die Alltag und die ganz großen Fragen auf den Punkt (oder die Pointe) bringen, wie z.B. Calvin und Hobbes oder die Peanuts finde ich auch großartig. Und dann so ziemlich alles, was der französische Verlag L’Association veröffentlicht, z.B. die sechsbändige Reihe L’Ascension du Haut Mal (dt.: Die heilige Krankheit) von David B., die autobiografisch und überaus komplex von der Künstlerwerdung des Autors im Schatten seines Epilepsie-erkrankten Bruders erzählt und die mittlerweile zum Klassiker der französischsprachigen Comic-Autobiografie avanciert ist oder die (teilweise ebenfalls autofiktionalen) Arbeiten Dominique Goblets, die man sich am liebsten alle aufhängen möchte, weil sie schlicht so schön (aber alles andere als schlicht) sind.
Wie arbeitest Du persönlich mit Comics? Wie sieht Deine Forschung aus?
MS: In meiner Dissertation habe ich mich primär mit autobiografischen Comics auseinandergesetzt und mir angesehen, inwiefern Autobiografie und Autofiktion im Comic anders funktioniert als in der Prosaform bzw. poststrukturalistische Zweifel an den Möglichkeiten der Autobiografie im Comic ideal ausgedrückt werden können. Aktuell integriere ich Comics immer wieder in die Lehre des MA-Studiengangs „Kultursemiotik und angewandte Kulturwissenschaften“ an der Universität Potsdam: So gab es z.B. ein Seminar zu Theorie und Praxis von Comic-Ausstellungen und einen Schwerpunkt zu feministischen Comics innerhalb der jährlich (mit Studierenden) co-organisierten Veranstaltung „Die Zeichen unserer Zeit“. Momentan interessiere ich mich sehr für Kulinar-Comics und die Frage, wie synästhetische Erfahrungen des Kochens und Schmeckens in Comics übersetzt werden können.
Was macht für Dich die Reihe „Comicstudien“ aus?
MS: Von der Reihe „Comicstudien“ verspreche ich mir einen fundierten, offenen und unkonventionellen Blick auf aktuelle Themen der Comicforschung. Ich finde es wichtig, dass auch die Sekundärliteratur für Dynamiken der Kanonwerdung sensibilisiert ist und Diversität in der Comicforschung so gefördert wird. Den Plan, dass einzelne Publikationen einen Dialog von Praxis und Theorie (z.B. durch die Integration von Comics) ermöglichen, unterstütze ich enthusiastisch; der Comic selbst ist ja der Beleg dafür, dass gerade die Kombination von Zeichensystemen neue Perspektiven und Erkenntnisse produziert.
[Titelbild von Wachiwit/iStock/Getty Images Plus]