Umberto Eco neu erzählt: Hinter den Kulissen des Philosophencomics

Er war Schriftsteller, Philosoph, Semiotiker – und auch Comic-Kenner. Umberto Eco hätte an dieser bebilderten Einführung in sein Leben und Schaffen wohl Gefallen gefunden – davon gehen der Literaturwissenschaftler Dr. Antonio Roselli und der Illustrator Ansgar Lorenz aus. Wir haben mit den beiden über ihre Zusammenarbeit und ihren Zugang zu dem italienischen Denker von Weltrang gesprochen.

Von Aristoteles über Judith Butler bis hin zu Umberto Eco: Die bereits neunzehn Bände umfassende Reihe „Philosophische Einstiege“ vermittelt das Leben und Denken großer Philosophen und Philosophinnen unterhaltsam in Wort und Bild.

Das kürzlich erschienene, mit Comic-Elementen gestaltete Buch über den italienischen Philosophen, Semiotiker und Schriftsteller Umberto Eco (1932-2016) stellt dabei bereits die dritte Zusammenarbeit zwischen dem Illustrator Ansgar Lorenz und dem Literaturwissenschaftler Dr. Antonio Roselli dar.

Wie greifen wissenschaftliche Theorie und Bildsprache ineinander? Was machte Umberto Eco zu einem „Multitalent“ der Geisteswissenschaften? Was können wir heute noch von ihm lernen? Und welche Rolle können Comics für eine freie Gesellschaft spielen?

Dies und mehr wollten wir von Dr. Antonio Roselli und Ansgar Lorenz wissen. Ihre Antworten haben sie uns schriftlich gegeben.

Dr. Antonio Roselli

Black-and-white comic drawing of Dr Antonio Roselli
Dr. Antonio Roselli ist seit November 2018 am Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg tätig. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn, wo er auch promovierte.

Alexandra Hinz: Umberto Eco nimmt im Kanon der Philosophen eine besondere Stellung ein – als engagierter Intellektueller, der auch medial und politisch gewirkt hat. Was fasziniert Sie persönlich am meisten an seiner Person und seinem Werk?

Antonio Roselli: Eco war gerade auch als Philosoph eine öffentliche Figur, nicht zuletzt aufgrund seiner Art der Wissensvermittlung, die in unzähligen Artikeln, Feuilleton-Beiträgen und nicht zuletzt in seinen Romanen zur Geltung kommt. Eco war ja auch ein ungemein erfolgreicher Schriftsteller. Viele denken dabei sofort an sein Erstlingswerk „Der Name der Rose“, was den anderen Romanen etwas unrecht tut. Was mich an seinen Romanen fasziniert, ist z.B. die Art, wie in den Dialogen zwischen den Figuren fast nebenbei unheimlich viel Wissen und komplexe Theorien vermittelt werden, ohne dabei pedantisch zu wirken.

Illustration aus „Umberto Eco: Philosophische Einstiege“ © De Gruyter Brill, 2025

Betrachtet man sein Werk insgesamt, sympathisiere ich besonders mit seiner Auffassung der Semiotik als Kulturtheorie. Auch seine Rezeption ethnographischer und kulturanthropologischer Theorieansätze, die insbesondere in den Schriften der 60er Jahre präsent sind, aber auch später noch nachwirken, sowie die ideologiekritische Komponente seiner Semiotik finde ich sehr spannend und aktuell.

AH: Mit der Metapher der „semiotischen Brille“ haben Sie im Buch einen didaktischen Aspekt von Ecos Denken hervorgehoben. Wie trägt dieser Blick dazu bei, die Vieldeutigkeit von Zeichen und Wirklichkeit zu erkennen?

AR: Bereits in seinen frühen Untersuchungen zum offenen Kunstwerk und später zu den Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation versteht Eco die Auseinandersetzung mit Kunstwerken als eine Einübung in die Ambiguitätstoleranz. Das Spannende dabei ist, dass Eco in der Analyse der Kunst die Rezipient*innen zugleich erkennen lehrt, wie Kunstwerke Mehrdeutigkeit produzieren.

„Eco versteht […] die Auseinandersetzung mit Kunstwerken als eine Einübung in die Ambiguitätstoleranz.“

Auch in seiner semiotischen Theorie spielt die Interpretation eine wichtige Rolle. Hypothesenbildung (die sogenannte Abduktion) ist zentral für unsere Art, uns in der Welt zu orientieren. Als „interpretatorische Wette“ ist diese Orientierung immer der Revision ausgesetzt. Insbesondere in seinen Zeitungsartikeln und Feuilleton-Beiträgen zeigt Eco anhand von tagespolitischen oder (scheinbar) ephemeren Beispielen, wie man Kultur als Zeichensystem „lesen“ kann – daher der Vorschlag, von einer „semiotischen Brille“ zu sprechen. In diesen Schriften betreibt Eco eine „semiotische Alphabetisierung“ voran – dieser Begriff stammt von Ecos Schüler Claudio Paolucci –, die Aufklärungsarbeit als Ideologiekritik betreibt.

AH: Der Comic gilt als “spielerisches” Medium und passt vielleicht gerade deshalb besonders gut zu Umberto Eco. Welche Rolle spielen Humor, Parodie und Ironie in seinen Werken?

AR: Ironie, Parodie und Humor spielen eine zentrale Rolle in Umberto Ecos Werk und sind eng mit seiner intellektuellen und pädagogischen Haltung verbunden.​ Sie dienen dazu, dogmatische und allzu ernsthafte Ansichten kritisch zu hinterfragen und eine reflektierte, ideologiekritische Einstellung zu fördern. Dabei gilt es hervorzuheben, dass die Parodie auch nicht vor der eigenen Position und den eigenen Lieblingsthemen halt macht: „Sich selbst nie zu sehr ernst nehmen ist mir immer als eine angemessene philosophische Haltung erschienen“ – dieses Zitat von Eco steht am Anfang von unserer Einführung.

Illustration aus „Umberto Eco: Philosophische Einstiege“ © De Gruyter Brill, 2025

Selbstironie geht mit dem Bewusstsein der eigenen Fallibilität einher und bewahrt uns davor, Wahrheiten absolut zu setzen. Position beziehen heißt nicht, einen solchen Absolutheitsanspruch zu erheben, sondern genau das Gegenteil: die eigene Position als Standpunkt zu reflektieren. Eine Haltung, die heute im öffentlichen Diskurs und in den sozialen Medien leider nur selten aufzufinden ist.

AH: Was denken Sie, können wir gesellschaftlich und politisch gesehen im Jahr 2025 noch von Umberto Eco lernen?

„Eco ist ein Aufklärer, der uns lehrt, die Welt kritisch, kreativ und reflektiert zu betrachten, ohne dabei die Lust am Lernen und Verstehen zu verlieren – und ohne vor der zunehmenden Irrationalität zu kapitulieren.“

AR: Viele der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, die inzwischen bedrohliche Züge angenommen haben, wurden von Eco bereits früh analysiert. Man denke etwa an seine kritische Auseinandersetzung mit dem Mythos der Objektivität in der medialen Berichterstattung, seine Untersuchungen zur Struktur von Verschwörungstheorien oder seine Populismusanalyse. Aber auch Themen wie Plagiate, Fake News und sogar KI standen früh auf Ecos Agenda. Und wer Berührungsängste mit den theoretischen Texten hat, kann die genannten Themen auch in seinen Romanen wiederfinden.

Eco ist ein Aufklärer, der uns lehrt, die Welt kritisch, kreativ und reflektiert zu betrachten, ohne dabei die Lust am Lernen und Verstehen zu verlieren – und ohne vor der zunehmenden Irrationalität zu kapitulieren.

AH: Glauben Sie, Umberto Eco hätte an einer mit Comics illustrierten Einführung in sein Werk Gefallen gefunden? 

AR: Eco hat nicht nur gerne Comics gelesen und sie als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ernst genommen, sondern sich auch auf verschiedenen Ebenen mit Fragen der Popularisierung von Wissen auseinandergesetzt. Eine Reihe wie die „Philosophischen Einstiege“ verfolgt das Ziel, Philosoph*innen einem größeren Kreis jenseits des Fachpublikums bekannt zu machen. Das stellt nicht nur die Autor*innen vor eine große Herausforderung, da sie „gezwungen“ sind, anders als im akademischen Kontext zu schreiben, sondern auch den Illustrator.

Die Zeichnungen von Ansgar Lorenz spielen eine zentrale Rolle für diese spezifische Form der Vermittlungsarbeit, weil sie nicht nur die Texte illustrierend begleiten, sondern auch die Inhalte graphisch zusammenfassen, bestimmte Aspekte hervorheben oder durch ironische Darstellungen der Gesamtdarstellung eine gewisse Leichtigkeit verleihen, wodurch zugleich eine Distanz zu den Texten hergestellt werden kann. All diese Aspekte hätten – so meine Vermutung – Ecos Interesse geweckt.

Ansgar Lorenz

Black-and-white comic drawing of Ansgar Lorenz
Ansgar Lorenz studierte Gestaltung und Illustration in Leipzig und Münster. Heute lebt und arbeitet er in Mannheim als freiberuflicher Illustrator mit dem Schwerpunkt auf erklärenden Illustrationen.

Alexandra Hinz: Nur wenige Philosoph*innen waren mit populären Medien wie dem Comic so vertraut wie Umberto Eco. Hat Ihnen das die Annäherung an ihn erleichtert oder spüren Sie vielleicht sogar eine besondere Verbindung zu ihm?

Ansgar Lorenz: Sagen wir mal so: Der Gedanke, dass auch Eco selber gefallen an unserem Comic-Buch über ihn gefunden haben könnte, ist ein schöner Gedanke. Und natürlich macht ihn mir diese intellektuelle Aufgeschlossenheit sympathisch.

AH: Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit an der Reihe „Philosophische Einstiege“ von anderen Illustrationsprojekten? Was sind besondere Herausforderungen und/oder Aspekte, die Ihnen besonders viel Spaß machen dabei?

„Die Arbeit an der Reihe ‚Philosophische Einstiege’ ist wie ein kleines Philosophiestudium für mich.“

AL: Die Arbeit an der Reihe „Philosophische Einstiege“ ist wie ein kleines Philosophiestudium für mich. Ich darf mit interessanten Menschen zusammenarbeiten. Den Austausch mit ihnen erlebe ich jedes Mal von neuem als ungemein bereichernd. Die behandelten Philosoph*innen, in deren Denken wir einführen, bieten sich dagegen unterschiedlich gut zum Illustrieren an. Die Sprache von Nietzsche ist sehr bildlich und bietet viele Anknüpfungspunkte für die Illustration. Andere Texte, wie die von Wittgenstein, sind hingegen eine echte Herausforderung. Mit Dr. Antonio Roselli ist die Einführung in Umberto Eco – neben Walter Benjamin und Jean-Jacques Rousseau – übrigens bereits das dritte Buch in der Reihe, das wir gemeinsam erstellen. Es macht einfach große Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.

AH: Wie frei sind Sie in Ihrer Comicdarstellung der Philosoph*innen – und an welchen Bildquellen oder Vorlagen orientieren sie sich dabei?
AL: Viele Autor*innen steuern Bildideen zu den Texten bei. Es sind aber immer nur Vorschläge und keine Vorgaben. Mir ist es wichtig, dass die Autor*innen mit den Illustrationen einverstanden sind. Aber letztlich bin ich sehr frei in der Darstellung. Die Bildideen entstehen zumeist assoziativ, in der Auseinandersetzung mit dem Text. Bildervorlagen finde ich zumeist digital oder in Büchern.

AH: Haben Sie innerhalb der Reihe eine Lieblingszeichnung oder eine, auf die Sie besonders stolz sind? Wenn ja, warum genau diese?

AL: Da gibt es viele. Im aktuellen Band zu Eco mag ich die vermeintliche Werbeillustration auf Seite 5 gerne: „Neugierig auf eine semiotische Brille? Versuchen Sie Eco“. Es spielt mit der Ironie, die auch Eco sehr wichtig war, um Eco zu erklären. Ich bin mir sicher, auch ihm hätte dieser Zugang zu seinem Werk gefallen.

Illustration aus „Umberto Eco: Philosophische Einstiege“ © De Gruyter Brill, 2025

AH: Welchen gesellschaftlichen Nutzen – oder sogar welche politische Wirkung – können Comics und Illustrationen heute noch entfalten?

AL: Comics, Illustrationen und Karikaturen können subversiv sein. Dabei profitieren sie davon, dass sie gemeinhin unterschätzt werden. Besonders in autoritären Staaten, in denen subversive Texte vielleicht kaum noch rezipierbar sind, können Comics freiheitliche Ideen am Leben halten.

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Alexandra Hinz: Danke für das Interview, Herr Dr. Roselli und Herr Lorenz!

[Titelbild: Illustration aus „Umberto Eco: Philosophische Einstiege“ © De Gruyter Brill, 2025]

Dr. Antonio Roselli

Dr. Antonio Roselli arbeitet seit 2018 am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg als Koordinator für das Programm „Studieren ab 50“. Zuvor war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn tätig.

Ansgar Lorenz

Ansgar Lorenz lebt und arbeitet als freiberuflicher Illustrator in Mannheim. Sein aktueller Schwerpunkt liegt auf der Erstellung erklärender Illustrationen, z.B. von Sachcomics, Graphic Recordings und Erklärfilmen.

Alexandra Hinz

Alexandra arbeitet als Digital Communications Editor im Web Content team von De Gruyter Brill. Sie können Sie kontaktieren via alexandra.hinz [at] degruyterbrill.com.

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