Netzwerk Wissenschaftsfreiheit: Eine kurze Replik
Die Cancel Culture, die das neu gegründete Netzwerk Wissenschaftsfreiheit beklagt, ist ein Schreckgespenst.
Wissenschaftsfreiheit ist eine gute Sache und die gilt es zu erhalten. Keine Frage, eigentlich. Jüngst haben sich aber im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit einige Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen, Institutionen und Universitäten des deutschsprachigen Raumes verbunden, um einmal mehr das Schreckgespenst der so genannten Cancel Culture für die vielbesungene Freiheit in Forschung und Lehre zum Spuken zu bringen. Wir, überwiegend Konservative, so der Tenor, fühlen uns als Forschende bedrängt und eingeschränkt durch die gefühlt weit verbreiteten links-progressiven Meinungsmacher*innen in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften in den wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland.
Zwei Dinge sind hier, meines Erachtens, wichtig. Erstens, dass es sich bei aller wissenschaftlichen Firepower, die sich im Netzwerk versammelt hat, doch in erster Linie um ein Gefühl zu handeln scheint – denn empirische Belege und wissenschaftliche Beweisführung sucht man im Manifest der Gruppe vergebens. Zweitens zeigt sich im Manifest immer wieder, dass die Unterscheidung zwischen humanities (also den Geistes- und Sozialwissenschaften) und science(s) (also den Naturwissenschaften) nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich, bewusst oder unbewusst, verwischt. Dies ist aber nicht nur wissenschaftlich unsauber gearbeitet, es ist auch irreführend.
Denn wenn der Text behauptet, dass Forschungsanträge scheitern, weil sie politisch gedeutet werden, macht das doch kaum Sinn, wenn ich an die Physik, Chemie, Mathematik oder Ingenieurswissenschaften denke. Für die (Evolutions-)biologie und andere Fächer an der Grenze der im Englischen auch gerne hard sciences genannten Fachgruppen ließe sich das gegebenenfalls denken und argumentieren. Doch auch hier liefert der Text keine Belege, nur gefühlte Diskriminierung. Wer, wie die meisten der Unterzeichner*innen des Statements, als Professor*in an einer Universität forscht und lehrt, ist in aller Regel verbeamtet, unbefristet eingestellt, wird als Expert*in von den Medien konsultiert. Und niemals, wirklich nie wird die Leitung der Hochschule einen Seminarplan einfordern, um diesen dann zu ändern oder zu canceln.
Gleiches gilt für Forschungsabteilungen und die entsprechenden Anträge für die Einwerbung von Drittmitteln. Dass die zu intransparent sind und hier womöglich auch nicht nur nach wissenschaftlicher Güte entschieden wird – geschenkt. Dies ist aber ein systemisches Problem und keines von ideologischer Kontrolle. Ich habe schon oft Absagen auf Projektanträge erhalten und wäre nie auf die Idee gekommen, das als canceln meiner Forschung zu interpretieren. Entscheidend sind doch vielmehr – wie in den Wissenschaften seit jeher – die wissenschaftlichen Fakten, die Standards nach denen Forschung betrieben wird, die Methoden und, ja, natürlich auch die verschiedenen Moden und Trends, die im Fach ko-(existieren).
“Universität war und ist auch immer politisch, nicht nur in den Politikwissenschaften.”
Auch wenn Studierende nicht mehr in Veranstaltungen kommen wollen, ist das ihr gutes Recht und hat mit gecancelt werden nichts zu tun. Wer behauptet, diese Lagerzugehörigkeiten unter Studierenden sei etwas Neues, der muss wirklich nur mal irgendetwas von einer Uni gesehen, gehört oder gelesen haben, um zu wissen, dass das nicht stimmt, sondern schlicht immer so war. Universität war und ist auch immer politisch, nicht nur in den Politikwissenschaften.
Doris Bachmann-Medick hat schon vor einiger Zeit zurecht darauf verwiesen, dass die sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächer von kleinen Wenden (bei ihr cultural turns) bestimmt und getragen werden, also von Methoden-, Deutungs- und Thementrends und eben nicht von sich sukzessiv vollziehenden Paradigmenwechseln vom ursprünglichen Irrglauben hin zur neuen Wahrheit. Soll heißen: Wissen in den kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächern ist und bleibt dynamisch und die eine empirische Wahrheit gibt es schlichtweg nicht, sondern den Stand der Debatte oder der Forschung.
Jetzt mag es sein, dass die fast 60 Professor*innen das Gefühl haben, ihre Stimmen werden in manchen gegenwärtigen Debatten nicht mehr genau so laut gehört. Es bleibt aber dann die Frage, ob a) das Gefühl sie trügt oder b) diese Tatsache vielleicht der Dynamik kultur- und sozialwissenschaftlicher Debatten geschuldet ist oder c) eine Kombination aus beidem besteht. Einen politisch motivierten Generalangriff auf die Freiheit des Denkens zu wittern, scheint mir in jedem Fall verfehlt. Und: wie kann es sein, dass wenn niemand den Unterzeichner*innen Gehör schenkt, die Zeitungen heute voll sind mit ihrer Warnung und dem Manifest? Sie forschen, sie lehren, sie haben nun medienwirksam appelliert – und das soll uns nun verdeutlichen, ihre Freiheit sei eingeschränkt?
Empirisch bewiesen ist etwas anderes: Die Hochschule ist und bleibt ein relativ homogenes soziales Gefüge und cancelt wahre Diversität schon vor dem Studienbeginn. Studieren tun nämlich immer noch deutlich mehr Menschen aus akademischen Haushalten, als aus jenen, wo kein Elternteil eine Hochschule besucht hat. Nicht zuletzt deshalb ist die Initiative Arbeiterkind.de von Katja Urbatsch so wichtig für unser kritisches Selbst-Bewusstsein im deutschen Bildungssystem. Und ja, auch das ist politisch! Machen wir uns nichts vor: Hier werden wirklich potentiell spannende, kluge Meinungen und Beiträge nie gehört in den Hörsälen der Hochschulen und Feuilletons großer Zeitungen, weil sie schon vorher rausgesiebt werden.
Das ist eine wirklich problematische Form von Ausgrenzung in der deutschsprachigen Wissenschaft, über die es sich zu diskutieren lohnte.
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