Call for Book Proposals: Reihe Germanistische Linguistik
Für unsere traditionsreiche "Reihe Germanistische Linguistik" suchen wir nach Publikationen, die neuere gesellschaftliche Entwicklungen in den Fokus rücken, welche die Entwicklung von Sprache und kommunikativen Praktiken nachhaltig prägen werden.
Die Reihe Germanistische Linguistik (RGL) ist eine der traditionsreichsten Reihen der germanistischen Sprachwissenschaft. Das Selbstverständnis der Reihe war stets davon geprägt, in ihrer bald fünfzigjährigen Geschichte neuen inhaltlichen und methodischen Ansätzen ein Forum zu geben. Zu den jeweiligen Zeitpunkten neuartige Sichtweisen auf Sprache und Sprachgebrauch konnten sich mittels der RGL durchsetzen und die linguistische Reflexion bereichern.
Ausgehend von dieser Tradition möchten wir nun zur Veröffentlichung von Publikationen anregen, die neuere gesellschaftliche Entwicklungen verstärkt in den Fokus rücken, die die Entwicklung von Sprache und mit ihr verbundener kommunikativer Praktiken mutmaßlich nachhaltig prägen werden.
Wenn Sie ein Proposal oder ein Manuskript einreichen möchten oder weitere Fragen zum Publikationsprozess haben, kontaktieren Sie bitte Senior Acquisitions Editor Fr. Dr. Ulrike Krauss (ulrike.krauss@degruyter.com)
Auch neue Perspektiven auf die Entwicklung der deutschen Sprache, die sie auszeichnenden Kommunikationsformen und Texttypen sollen in den Blick gelangen. Über diesen Fokus hinaus soll sich die RGL aber weiterhin als ein Ort verstehen, in dem jedwede Sprachbetrachtung und -analyse bei großer methodischer Offenheit ihren Platz hat. Es sind also auch Vorschläge willkommen, die keine der im Folgenden genannten Schwerpunkte behandeln.
Wir sehen drei Herausforderungen, der sich die germanistische Linguistik derzeit gegenüber sieht:
1) Warum germanistische Linguistik?
In der zunehmend globalisierten und medial vernetzten Welt stellt sich verstärkt die Frage, welcher Stellenwert einer wissenschaftlichen Disziplin zukommen kann, die sich an einer Einzelsprache orientiert.
Zwar sind etwa Auseinandersetzungen damit, welche Rolle dem Deutschen als Sprache zukommt oder welche Auswirkungen Sprachkontakt besitzt, etabliert. Es fehlen jedoch (empirische) Untersuchungen dazu, welche Folgen die Alltags-, Fach- und Wissenschaftskommunikation vielfach durchwirkende Nutzung anderer Sprachen hat.
Das potentiell weltweite Distribuieren und Teilen von Informationen oder das Sichtbarwerden der verschiedensten Kulturen und Subkulturen durch die unterschiedlichsten medialen Angebote macht die Frage virulent, ob sich Sprache und Sprachgebrauch und die daraus resultierenden sprachlich-kommunikativen Praktiken noch vor dem Hintergrund eines engen, auf die deutschsprachigen Nationen und Regionen bezogenen Rahmens verstehen lassen. Politische Kulturen, jedoch auch basale kulturelle Praktiken (Erleben von Geburt, Trauer, Tod) werden, befördert durch die Nutzung von Medien, transnational. Kulturelle Angebote wie Musik, Film oder Literatur werden global rezipiert und diskutiert.
Die Mediatisierung der unterschiedlichsten Kommunikationsbereiche macht die fast schon selbstverständliche Begegnung mit anderen Sprachen und durch sie transponierten Kulturen besonders augenfällig. Doch ist auch in diachroner Perspektive die alleinige Fokussierung auf eine Einzelsprache fragwürdig: Erstens existieren seit jeher soziale Netzwerke, die sich an anderen Sprachen und Kulturen orientieren (bspw. der Adel, Gelehrtentum, Geschäftsleute), zweitens gehören Wanderungsbewegungen, Migration und Flucht zu den grundlegenden Faktoren, die Auswirkungen auf Sprache und Sprachgebrauch besitzen, und drittens gehören Erfahrungen von Mehrsprachigkeit in vielen europäischen Zentren zur Alltagserfahrung.
Die Bedeutung von Deutsch in diesen Sprachwirklichkeiten empirisch zu untersuchen, scheint uns nach wie vor ein Desiderat, jedoch auch zu reflektieren, wie sich diese Sprachwirklichkeiten auf das disziplinäre Verständnis einer „germanistischen“ Linguistik und den Untersuchungsgegenstand „deutsche Sprache“ auswirken.
2) Germanistische Linguistik und Öffentlichkeit: Jenseits von Aufklärung und Expertentum?
In der germanistischen Linguistik ist umstritten, ob und in welcher Weise die Linguistik an gesellschaftlichen Debatten mitwirken kann und sollte. Die Konfliktlinien innerhalb des Faches bewegen sich zwischen der Annahme, das Fach könne gesellschaftliche Debatten lediglich beschreiben, und der Annahme, die Linguistik könne zur (kritischen) Aufklärung beitragen; dabei handelt es sich um eine linguistikinterne Kontroverse mit eher geringer gesellschaftlicher Strahlkraft.
Gegenwärtig ist sichtbar, dass viele aktuelle gesellschaftliche Debatten durchaus einen zumeist als unangemessen betrachteten Sprachgebrauch (mit)thematisieren, sei es, dass eine Verrohung von Sprache diagnostiziert wird und Hass- und Hetzreden beklagt werden, sei es aber auch dadurch, dass die Bedeutung von Sprache für das Denken herausgestrichen wird und die Notwendigkeit sprachlicher Veränderungen daraus abgeleitet wird.
Eine besondere Konfliktlinie bilden etwa gendergerechte Schreibungen, die teils als Unsinn gebrandmarkt werden, teils jedoch als unabdingbar für gesellschaftlichen Fortschritt erachtet werden.
Eine andere Konfliktlinie bilden teils mit dem Nationalsozialismus, teils mit Antisemitismus, teils mit Kolonialismus und insgesamt mit Rassismus verbundene Wörter. In diesem thematischen Feld fehlen u.E. noch Beiträge, die zeigen, inwieweit die Linguistik mit ihren Mitteln und ihrer Expertise, aber im Dialog mit anderen Disziplinen, in der Lage ist, eigene Erklärungen für die Persistenz antisemitischer, rassistischer, nicht-nachhaltiger Weltdeutungen, Geschlechterdifferenzen u.Ä. zu finden. Dies würde auch mit der Tradition brechen, laien-linguistische Vorstellungen zu hinterfragen und es müssten Wege des Dialogs gefunden werden, die jenseits der Vorstellungen von Aufklärung und Expertentum liegen.
3) Neuartige Daten, neuartige Methoden?
Durch den in den letzten Jahrzehnten erfolgten Aufbau großer Korpora und den Einsatz korpuslinguistischer Methoden haben sich Forschungsfragen und -anliegen stark verändert.
Diese Korpora haben mit dem Verweis auf ihre gesellschaftliche Wirksamkeit häufig öffentliche Kommunikate (Zeitungen, veröffentlichte Literatur) zum Gegenstand und – oft aus forschungspraktischen Gründen – seltener halb-öffentliche, informellere, stark multimodale oder gesprochene Kommunikation. Es gibt jedoch unterschiedliche Gründe, sich auch anderen Materialien zuzuwenden.
Zu diesen Gründen zählen:
a) der grundlegende ‚Strukturwandel der Öffentlichkeit‘, die Intermedialität der öffentlichen Angebote, die Bedeutung digitaler Infrastruktur und damit auch ein gestiegenes Interesse für multimodale, intertextuelle und algorithmisch erstellte Daten,
b) die Tatsache, dass soziolinguistische Untersuchungen, die Akteure in den Vordergrund rücken, zumeist durch Großkorpora weniger erkennbar sind und
c) der Umstand, dass eher private, familiäre, in begrenzten Netzwerken entstehende Kommunikate, die zumeist jedoch ein hohes Sinnstiftungspotential für Einzelne oder soziale Milieus besitzen, weniger stark repräsentiert sind.
Damit einher gehen jedoch methodologische Herausforderungen, solche Daten greifbar und analysierbar zu machen: Es sind technologische und rechtliche Hürden, z.B. der Digitalisierung, zu überwinden, es stellen sich aber auch Fragen nach der adäquaten Repräsentation als Datensätze, etwa bei multimodalen oder in Interaktion entstandenen Daten.
Insofern dient dieser Call dazu, zu Veröffentlichungen anzuregen, die Materialien präsentieren, die mit der primären/sekundären Sozialisation von Menschen in Beziehung stehen, aber die auch neue methodologische Wege gehen, um solche Materialien linguistisch zu analysieren.
Einreichungen
Book Proposals können laufend an Fr. Dr. Ulrike Krauss vom De Gruyter-Verlag verschickt werden. Die Book Proposals sollen:
- ca. 5000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) umfassen;
- einen Bezug zu den o.g. oder anderen Themen der germanistischen Sprachwissenschaft herstellen;
- bei Monografien ein vorläufiges Inhaltsverzeichnis und bei Sammelbänden zusätzlich eine Liste der beteiligten Wissenschaftler:innen umfassen.
Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge!
Reihenherausgeber:innen:
Prof. Dr. Noah Bubenhofer (Universität Zürich)
Prof. Dr. Britt-Marie Schuster (Universität Paderborn)
[Title Image by Annie Spratt, via Unsplash]