Zwischen Apokalypse und Wachstumsillusion: Warum wir neue Hoffnung brauchen

In der ökologischen Krise zeigen sich allzu deutlich die Grenzen des auf Wachstum basierenden Wohlstands. Doch während die politische Linke in Verzweiflung und die Rechte in blindem Optimismus verharrt, wächst in der Zivilgesellschaft eine neue demokratische Hoffnung.

Dieser Artikel wurde in leicht abgewandelter Form unter dem Titel „Linke allzu verzweifelt, Rechte blind optimistisch – Zivilgesellschaft voller Hoffnung!“ erstmals in Ausgabe 07/2024 der Wochenzeitung „der Freitag“ veröffentlicht.

Überdeutlich drängt sich gegenwärtig die Einsicht auf: Demokratie braucht Hoffnung. In den letzten Jahren hat weder die politische Rechte noch die Linke demokratische Hoffnungen gepflegt: Hoffnungen auf das unbeschädigte Gedeihen aller. Wenn diese Hoffnungen in der Zivilgesellschaft jedoch bröckeln, dann unterminiert dies den demokratischen Rechtsstaat.

Über Jahrzehnte bestand in den kapitalistischen Demokratien des globalen Nordens ein breiter gesellschaftlicher Hoffnungskonsens. Die demokratische Hoffnung auf allgemeines Gedeihen wurde mit der kapitalistischen Hoffnung auf wirtschaftliches Wachstum verknüpft. Von links bis rechts wurde auf allgemeines Wohlergehen durch ökonomisches Wachstum gehofft. Auf liberaler Seite wurden diese Hoffnungen in das berühmte Bild von der unsichtbaren Hand des Marktes gegossen. Sie haben aber auch linke Gemüter beflügelt. Viele Linke haben angesichts der begrenzten Möglichkeiten globaler Umverteilung auf ökonomisches Wachstum gesetzt, um allgemeinen Wohlstand zu erreichen. Bestärkt wurden sie von der Empirie. Über lange Zeit kam ökonomisches Wachstum hierzulande nicht nur einer Minderheit, sondern der Mehrheit, und auf globaler Ebene nicht nur dem Norden, sondern auch weiten Teilen des Südens zugute.

„In der ökologischen Krise sind die Sollbruchstellen innerhalb der Hoffnung auf allgemeines wachstumsbasiertes Wohlergehen zutage getreten.“

In der ökologischen Krise sind die Sollbruchstellen innerhalb der Hoffnung auf allgemeines wachstumsbasiertes Wohlergehen zutage getreten. Die Verknüpfung von demokratischer Hoffnung auf allgemeines Gedeihen und kapitalistischer Hoffnung auf wirtschaftliches Wachstum wurde durch eine doppelte Erkenntnis infrage gestellt: Zum einen, dass fossile Energien nicht nur wirtschaftliches Wachstum und allgemeinen Wohlstand, sondern auch ökologische Zerstörung und damit soziale Krisen befeuern; zum anderen, dass grünes Wachstum eine Schimäre ist, da sich wirtschaftliches Wachstum nicht von fossilen Energieträgern entkoppeln lässt.

Linke Verzweiflung, rechter Überoptimismus

Die politische Linke und Rechte findet unterschiedliche Antworten auf die inneren Widersprüche der kapitalistisch-demokratischen Hoffnung. Es scheint sich eine Tendenz zu wiederholen, die Ernst Bloch bereits vor hundert Jahren diagnostiziert hat: dass die Linke ganz auf den „Kältestrom“ nüchterner Analyse setzt, während die Rechte punktet, indem sie den „Wärmestrom“ des Optimismus anheizt. Darüber zerbricht nicht nur der gesellschaftliche Hoffnungskonsens; vielmehr bleiben auch beide Antworten in all ihrer Unterschiedlichkeit unzureichend.

Seit Jahren werden in der politischen Linken und insbesondere in der Klimabewegung Spielarten apokalyptischen Denkens erprobt. Legendär ist die Forderung von Greta Thunberg in ihrer Davoser „Our house is on fire“-Rede von 2019: „I don’t want you to be hopeful, I want you to panic! I want you to feel the fear I feel every day and then I want you to act!” Bände sprechen aber freilich bereits die Selbstbezeichnungen der Klimabewegungen als “Letzte Generation” oder “Extinction Rebellion” mit ihrem Motto: „Hope dies, Action begins!“

„Problematisch wird es, wenn Hoffnung unter Generalverdacht gestellt und apokalyptische Gefühlszustände der Panik oder Verzweiflung kultiviert werden.“

In der linken Apokalyptik drückt sich zunächst berechtigte Ernüchterung aus. Intellektuell redlich lässt sich nicht länger an der etablierten Hoffnung festhalten, in den Bahnen der Wachstumsgesellschaft allgemeines Wohlergehen hervorzubringen. Problematisch wird es allerdings, wenn Hoffnung unter Generalverdacht gestellt und apokalyptische Gefühlszustände der Panik oder Verzweiflung kultiviert werden. Panik und Verzweiflung rauben die Motivation, überhaupt zu handeln. Mittelbar wirken sie am Erhalt bestehender Praktiken der Zerstörung mit. Dabei übersieht die apokalyptische Linke über den drängenden Herausforderungen der Wirklichkeit das Mögliche: dass neue Möglichkeiten eines besseren Miteinanders offenstehen, solange die Welt noch nicht untergegangen ist.

Die politische Rechte entgeht den linken Selbstblockaden. Weiterhin will sie sich unter der Hoffnung auf wachstumsbasierten Wohlstand versammeln. Ein Blick in das AfD-Wahlprogramm von 2024 zeigt, wie der rechte „Wärmestrom“ zum Fließen gebracht wird: mit Strategien der Selbstimmunisierung. Es werden die Erkenntnisse delegitimiert, die die „altbewährte“ Wachstumshoffnung infrage stellen. Die wissenschaftlichen Modellierungen, die einen gefährlichen Wandel des Klimas berechnen, seien ideologischer Natur. Ihr „eigentliches“ Ziel bestünde darin, einen Umbau der Gesellschaft zu rechtfertigen, der die deutsche Wirtschaftskraft zerstören würde. Getrost will man an den etablierten Wachstumshoffnungen festhalten: vorgeblich haben sie ja keine Erfahrungen, sondern nur fiktive Erzählungen über Naturzerstörung gegen sich.

“In der ‚Wärmemaschinerie‘ der Rechten kippt politische Hoffnung in erfahrungsblinden Optimismus.”

Angesichts der apokalyptisch-sauertöpfischen Untergangsstimmung der Linken scheint der rechte Wachstumsoptimismus bei vielen zu verfangen. Bezahlt wird er mit dem Verlust intellektueller Redlichkeit. In der „Wärmemaschinerie“ der Rechten kippt politische Hoffnung in erfahrungsblinden Optimismus. Gleichzeitig werden unter der Hand Kompromisse beim demokratischen Hoffen gemacht: Ökonomisches Wachstum soll nicht mehr allgemeines, sondern nur noch „biodeutsches“ Gedeihen befördern. Die Ausbeutung von Menschen nicht-deutscher Herkunft wird unter der Hand genauso in Kauf genommen wie die Zerstörung der Ökosysteme. Den demokratischen Rechtsstaat unterminiert dies freilich nicht weniger als die linke Apokalyptik. Die linke Verzweiflung gräbt die Motivation zum demokratischen Handeln ab. Der rechte Optimismus arbeitet daran, die ökologischen und sozialen Grundlagen des demokratischen Gemeinwesens zu zerstören.

Demokratische Hoffnung als Sinn für das Mögliche

In der sich neuformierenden Demokratiebewegung bahnt sich – jenseits von linker Apokalyptik und rechtem Wachstumswahn – eine dritte Gestalt politischer Hoffnung ihren Weg. Im Engagement der Zivilgesellschaft gegen Menschenverachtung und für ein demokratisches Miteinander scheint eine genuin demokratische Hoffnung auf. Die anstehenden sozio-ökologischen Herausforderungen werden nicht weggeredet – und dennoch wird gehofft: auf neue Möglichkeiten eines demokratischen Miteinanders, die im Umgang mit den anstehenden Herausforderungen erst noch auszubilden sind.

Demokratische Hoffnung ist kein bloßer Schall und Rauch, der an den realen Gegebenheiten verpufft. Ihr kommt vielmehr eine eminent politische Funktion zu. Demokratien sind darauf angewiesen, dass die Zivilgesellschaft auf allgemeines Gedeihen hofft. Als Beispiel hoffender Zivilgesellschaften lässt sich an munizipalistische Strömungen denken: auf kommunaler Ebene angesichts der Klimakrise bei der Mobilität, Bebauung und Wohnraumnutzung neue Formen kollektiver Urbanität zu erproben. Aus ihnen ist u.a. das Netzwerk mit dem hoffnungsfrohen Namen der „Fearless Cities“ hervorgegangen. Breite internationale Aufmerksamkeit hat jüngst der Pariser Volksentscheid über ein SUV-Verbot auf sich gezogen.

“Demokratische Hoffnung ist kein bloßer Schall und Rauch, der an den realen Gegebenheiten verpufft. Ihr kommt vielmehr eine eminent politische Funktion zu.”

An solchen Beispielen wird deutlich, dass zivilgesellschaftlich kultivierte Hoffnung eine Funktion erfüllt, auf die die rechtsstaatlichen Verfahren angewiesen sind, ohne sie selbst übernehmen zu können: Sie befördert demokratische Erneuerung und Inklusion. Dies hat damit zu tun, dass Hoffnung über das Bestehende hinausstrebt. Sie ist der Sinn für das Mögliche, für bisher nicht verwirklichte Möglichkeiten des Glücks. Hoffende Zivilgesellschaften können über sich „hinauswachsen“. Inmitten sozialer Krisen können sie alternative Lebensmöglichkeiten aufspüren: Möglichkeiten geteilten Gedeihens, in denen aktuelle Formen der Schädigung überwunden sind. Und zugleich können politische Hoffnungen zur Teilhabe motivieren. Dabei kann die Hoffnung auf ein besseres Miteinander auch Menschen ins politische Handeln hineinziehen, die von den etablierten rechtsstaatlichen Verfahren ausgeschlossen sind.

Eine Crux an der Hoffnung besteht freilich darin, dass sie sich mit Argumenten nicht herbeireden lässt. Man kann nicht auf Knopfdruck hoffen, weil es gut ist für die Demokratie. Der Sinn für das Mögliche will nicht rational begründet, er will praktiziert werden. Die aktuelle Demokratiebewegung und der Munizipalismus führen anschaulich vor Augen:  Zivilgesellschaften leben Hoffnung auf allgemeines Gedeihen, indem sie gegen konkrete Formen der Entrechtung, Ausbeutung und Zerstörung aufbegehren. Hieran wäre jetzt anzuknüpfen.

[Title image by Liudmila Chernetska/iStock/Getty Images Plus]

Olivia Mitscherlich-Schönherr

Olivia Mitscherlich-Schönherr ist Privatdozentin für Philosophie an der Universität Potsdam.

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