Warum lachen wir über Screwball-Komödien? Sarah Greifenstein im Interview
Screwball-Komödien bestechen durch eine turbulente Handlung und rasanten Wortwitz. Doch auch subtilere Filmtechniken sind bei der Entstehung von Komik nicht zu unterschätzen, sagt Sarah Greifenstein.
Mit Hollywood-Ikonen wie Cary Grant und Claudette Colbert erlebte die Screwball Comedy ihren Höhepunkt in den 1930er und 1940er Jahren. Heutzutage ist sie Forschungsgegenstand von Prof. Dr. Sarah Greifenstein an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Dort befasst sich die Film- und Medienwissenschaftlerin mit dem Einfluss der zeitlichen Gestaltung audiovisueller Bilder auf die Emotionen der Zuschauer. Wir sprachen mit ihr über Gefühlsentladungen im Kino, gutes Timing und moderne Entsprechungen des Screwball-Genres.
De Gruyter: Wie sind Sie zur Screwball Comedy als Forschungsgegenstand gekommen?
Sarah Greifenstein: In meinem akademischen Umfeld wurde und wird viel zu Emotionen und Film geforscht. Es war für mich klar, dass ich ebenfalls in diesem Bereich arbeiten möchte. Der Affektbereich des Heiteren in Screwball Comedies liegt zwar völlig auf der Hand, jedoch war noch überhaupt nicht geklärt, wie dies geschieht und auf welchen konkreten Ebenen filmischer Gestaltung audiovisuelle Muster der Erheiterung angelegt sind.
DG: “Das Lachen stellt neben dem Weinen im Kino eine Extremform der Erfahrung dar.” Warum lachen Menschen im Kino?
“Die Zuschauer*innen überlassen sich einer nicht-menschlichen, automatisch ablaufenden Wahrnehmung.”
SG: In der Extremform des Lachanfalls und Weinkrampfes verliert der Mensch laut dem Philosophen Helmuth Plessner die Kontrolle über seinen Körper. Im Kino muss dies nicht immer zwangsläufig in der höchsten Intensitätsstufe erfolgen, aber die Zuschauer*innen überlassen sich einer nicht-menschlichen, automatisch ablaufenden Wahrnehmung. Und diese Wahrnehmung hat einen bestimmten Takt. Zudem greift die Screwball-Komödie Anschauungen von Sozialität auf und bearbeitet sie filmisch, wodurch menschliche Interaktionen innerhalb ihrer gesellschaftlichen Codes spielerisch reflektiert werden. Das ist im Fall des Lachens befreiend.
DG: Sie zeigen anhand der Screwball Comedy, dass gutes Timing mindestens ebenso wichtig für die Entstehung von Komik ist wie Spiel, Mimik und Handlung. Werden Handlung und das Wirken von Schauspieler*innen im Kino im Verhältnis zu Schnitt und Tempo grundsätzlich überschätzt – und falls ja, warum?
SG: Die narrativen Handlungen und Dialoge sind natürlich zentrale Elemente der Screwball Comedies und wurden deshalb stets in den Vordergrund gestellt. Dass das Tempo eines Films für die Komödie zentral ist, gilt bei Filmschaffenden zwar als Selbstverständlichkeit, jedoch sind die Zeitlichkeit und die damit verbundenen Inszenierungsformen, wie Schnitt und Kameraführung, aufgrund ihrer Subtilität stets unterschätzt worden. In den Komödien sind die Filmtechniken so stark mit den Bewegungen der Schauspieler verzahnt, dass unsere Zuschauerwahrnehmungen über die medialen Formationen an die Bewegungen von Schauspielern wie Cary Grant oder Katharine Hepburn gebunden sind. Man kann beobachten, dass sich die Paare in den Filmen streiten, doch der Filmschnitt verbindet sie auf einer Wahrnehmungsebene höchst elegant: Die Ansichten werden in einem geschmeidigen Tempo vorgeführt, so dass der Eindruck einer Paareinheit entsteht – eine Erfahrung von Leichtigkeit und Gehobenheit.
DG: Wie erklären Sie sich, dass Menschen im selben Kinosaal an völlig unterschiedlichen Stellen im Film lachen?
SG: Hollywood-Filme wurden und werden heute noch an verschiedene Zuschauerschaften adressiert. In Ernst Lubitschs Film „Bluebeard’s Eighth Wife“ gibt es etwa Szenen, in denen eine ganz bestimmte Zuschauerposition angesprochen wird. Das kann eine emanzipatorische, weibliche Position sein und mit dem Angebot verbunden werden, sich mit der selbstbewussten, starken Protagonistin erhaben zu fühlen. Stanley Cavell hat in dieser Hinsicht mit den Filmen den Beginn einer feministischen Phase beschrieben. Andererseits gibt es in „Bluebeard’s Eighth Wife“ eine Szene, in welcher Gary Cooper Claudette Colbert übers Knie legt. Obwohl dies stark karikierend dargestellt ist, missfällt diese Szene womöglich einer emanzipierten Zuschauerin und vermag stattdessen Zuschauerpositionen zum Lachen zu reizen, die mit Feminismus wenig anfangen können. Die spezifische Zeitlichkeit des Films verbindet über ihre affektdramaturgischen Verläufe solche höchst widersprüchlichen Adressierungen.
DG: Warum gibt es Gags, die das Publikum in den 1920er Jahren komisch fand, die heute aber nicht mehr zünden (oder umgekehrt)?
“Obwohl die Filme der Screwball-Comedy wenig von ihrem affektiven Potenzial eingebüßt haben, gibt es historische Komponenten, die für Zuschauer*innen heute wenig transparent sind.”
SG: Obwohl die Filme der Screwball Comedy wenig von ihrem affektiven Potenzial eingebüßt haben, gibt es historische Komponenten, die für Zuschauer*innen heute wenig transparent sind: So werden in manchen Filmen des Screwball-Genres, aber auch schon vorher in Slapstick Komödien der 1920er, Lebensmittel, wertvolle Gegenstände und zum Teil ganze Häuser zerstört. Die Komik solchen Ungeschicks ist für uns heute zum Teil nicht mehr nachvollziehbar. Sicherlich war die Tatsache der Zerstörung teurer Waren zur Zeit der Filmentstehungen eine empörende Grenzüberschreitung, die jedoch im Rahmen eines fiktiven Films als Phantasie komisch-provokativ erlaubt war. An solchen Bruchstellen tritt für uns das Historische und Kulturspezifische von Wahrnehmung und Gefühl besonders deutlich hervor. Wir können zwar vielleicht nicht mehr über diese für uns fremden Szenen lachen, wir können aber in den Lachanlässen noch Reste von Erfahrungszusammenhängen früherer Zuschauerschaften erkennen und nachzeichnen.
DG: Inwiefern lassen sich Ihre Erkenntnisse auf Produktionen des Streaming-Zeitalters übertragen?
SG: Clips in sozialen Medien sind viel kürzer, Serien von Streaming-Portalen viel länger als der klassische Spielfilm. Trotzdem wird Heiterkeit auch heutzutage zeitlich inszeniert. Medienerfahrungen hängen jetzt stärker von der jeweiligen Situation ab, von den verschiedenen Orten, in denen Menschen sie aufrufen und sind durch die Größenunterschiede der Screens bestimmt, die vom Smartphone bis zur Heimkinoleinwand reichen. Es wäre interessant herauszufinden, welche Bandbreite von Zeitlichkeiten affektiver Wahrnehmungsgestaltung es in Komödienformaten heute gibt und welche gesellschaftlichen Themen mit ihnen verbunden sind.
DG: Gibt es eine heutige Entsprechung zur Screwball Comedy?
SG: Inszenatorische Elemente und Themen der Screwball Comedy tauchen in den verschiedensten Ausprägungen aktueller Sitcoms und Comedy-Formate auf. Im Zentrum stehen damals wie heute konflikthafte Widrigkeiten sozialer Situationen und Verhaltensweisen sowie komisch-heitere Anschauungen von Gemeinschaft. Allerdings steht z.B. in „The Marvelous Mrs. Maisel“ weniger das heterosexuelle Paar im Zentrum als die enge Arbeitsbeziehung von zwei Frauen, Susi und Midge; der Fokus liegt gerade nicht auf dem Zerbrechen der Kleinfamilie, sondern auf der anstrengenden Einfügung in die Großfamilie. In solchen und anderen US-amerikanischen Komödien-Produktionen sind heute eher plurale, wechselhafte Konstellationen von Gemeinschaft zu beobachten, in denen weniger die Idee einer fixen Paarbeziehung dominiert als das komisch-komplizierte Zusammensein in vielfältigen, flexibleren Beziehungen und Lebensgemeinschaften.
[Title image by Columbia Pictures via Wikimedia Commons, Public Domain]