(Ge)Recht Für Alle? Nikolas Eisentraut Über Open Access in der Rechtswissenschaft
Frei zugängliche Wissenschaft schafft gerechtere Bedingungen für Jurist*innen in der Ausbildung, sagt der Rechtswissenschaftler Nikolas Eisentraut im Interview. Doch der Weg dorthin ist steinig.
Trotz wachsender Beliebtheit in anderen Fachrichtungen, haben sich Open Access und Open Science in den Rechtswissenschaften bisher noch nicht etablieren können. Nikolas Eisentraut von der Freien Universität Berlin möchte das gerne ändern. Wir sprachen mit dem Rechtswissenschaftler über die sich anbahnende Trendwende in seinem Fach, Corona als Treiber für die Digitalisierung und den Einfluss von frei zugänglicher Wissenschaft auf die juristische Ausbildung.
De Gruyter: Wie sind Sie zu Ihrem Engagement für Open Access und Open Science gekommen?
Nikolas Eisentraut: Bereits im Studium habe ich mich an der weitgehenden Kommerzialisierung juristischer Ausbildungsliteratur gestört. Erst als Tutor und nunmehr als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bin ich deshalb darum bemüht, den Studierenden hochwertige Lehrmaterialien frei zugänglich zur Verfügung zu stellen. Ein wesentlicher Impuls, mein Engagement zu vertiefen, war dann die Förderung durch das Fellow-Programm Freies Wissen, in dessen Rahmen ich das erste offen lizenzierte und bei De Gruyter publizierte Lehrbuch „Verwaltungsrecht in der Klausur“ und auch das erste offene Fallrepetitorium in der deutschen Rechtswissenschaft herausgegeben habe. Mit dem Lehrbuch möchte ich die Idee freien Wissens in der Rechtswissenschaft bekannt machen und das Potential offener Lehrmaterialien aufzeigen.
Im Zuge der Förderung habe ich mich intensiv mit den Themen Open Access, Open Educational Resources und auch Open Science auseinandergesetzt und versuche seither, die Ergebnisse meiner Forschung möglichst offen zu publizieren und Lehrmaterialien mittels offener Lizenzen nachnutzbar zu machen, aber auch die Tätigkeit als Rechtswissenschaftler sichtbar zu machen. Dafür nutze ich auch soziale Medien wie Twitter und Instagram, um über aktuelle Forschungsprojekte und den Arbeitsalltag als Wissenschaftlicher Mitarbeiter zu berichten. Zuletzt durfte ich meine Überlegungen zur Öffnung der Rechtswissenschaft in einem Vortrag auf der 60. Assistententagung in Trier präsentieren (zur Schriftfassung).
DG: In anderen Disziplinen ist Open Access bereits weit verbreitet, doch in der Rechtswissenschaft findet das Modell bisher nur wenig Anklang. Woran liegt das?
“Open Access stellt etablierte Publikationsformen auf den Kopf.”
NE: Open Access stellt etablierte Publikationsformen auf den Kopf: Während vielerorts eine Nutzerfinanzierung noch für die einzig gangbare Variante für wissenschaftliche Publikationen gehalten wird, bemüht sich die Open-Access-Bewegung um neue Finanzierungsmodelle, um den Leser*innen einen freien Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen zu ermöglichen. Die Publikations- und Reputationslogiken in der Rechtswissenschaft sind jedoch über Jahrzehnte eingeübt und etabliert und werden von Forschergeneration zu Forschergeneration weitergereicht. Vielerorts fehlt es auch einfach an dem nötigen Know-How: Etwa das Recht, bereits klassisch veröffentlichte Zeitschriftenbeiträge im Rahmen des § 38 Abs. 4 UrhG nochmals offen zu publizieren, ist vielen Wissenschaftler*innen gar nicht bekannt.
Indes zeichnet sich aktuell eine Trendwende ab: Nicht nur der Druck seitens der Politik beflügelt das Thema, auch immer mehr Rechtswissenschaftler*innen interessieren sich für Open Access. Dazu tragen auch an Bedeutung im rechtswissenschaftlichen Diskurs gewinnende Blogs bei, die von Anfang an auf eine weitreichende Öffentlichkeit im Digitalen gesetzt haben. Auch die etablierten Verlage beginnen zuletzt verstärkt damit, Open-Access-Modelle für die Publikation von Forschungsergebnissen anzubieten. Dabei fehlt es jedoch noch weitreichend an kostenattraktiven Angeboten. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang etwa, wie bei der Umstellung auf Open Access der bisher erbrachte Kostenbeitrag der Rechtspraxis zugunsten der Wissenschaft gesichert werden kann.
DG: Die Corona-Krise sorgt vielerorts für einen Digitalisierungs- und Innovationsschub – auch in der Rechtswissenschaft?
“Corona zeigt die Notwendigkeit auf, das Thema Open Access in der Rechtswissenschaft weiter zu forcieren.”
NE: Corona hat die Digitalisierung ins Rollen gebracht – auch in der Rechtswissenschaft. Plötzlich waren Online-Vorlesungen und andere digitale Lernformate wie Podcasts in aller Munde. Wo es die öffentlichen Finanzmittel hergaben, wurden zudem digitale Verlagsangebote aufgrund der Schließung der Bibliotheken in weitergehendem Umfang lizenziert, als es bisher der Fall war. Die Corona-bedingte Digitalisierung hat so auf jeden Fall einen Vorgeschmack gegeben auf das, was eine offene Digitalisierung für die Wissenschaft bedeuten könnte: Eine umfassende digitale Verfügbarkeit von Forschungs- und Lehrmaterialien, die den Lern- und Forschungsprozess deutlich vereinfacht. Fraglich ist aber, ob sich die Bibliotheken diesen Service in Nach-Corona-Zeiten auch weiterhin leisten können oder ob schon in Kürze wieder der analoge Gang ans Bücherregal die Regel sein wird. Insofern zeigt Corona auch die Notwendigkeit auf, das Thema Open Access in der Rechtswissenschaft weiter zu forcieren.
DG: Eine Kritik gegenüber Open Access lautet: Die zunehmende Verpflichtung, Forschung ausschließlich in Open Access-Zeitschriften zu veröffentlichen, schränkt die Wahlmöglichkeit von Forschenden ein, dort zu publizieren, wo sie es für richtig halten. Was würden Sie darauf entgegnen?
NE: Ein Blick in die Forschungsrealität zeigt, dass es echte Pflichten, Open Access zu veröffentlichen, bisher kaum gibt. Eine Bindung von Drittmittelzusagen an die Open-Access-Publikation der gewonnenen Forschungsergebnisse gibt es nur im Rahmen der europäischen Forschungsförderung, die DFG vergibt hingegen weiterhin Mittel ohne entsprechende Verpflichtungen. In Baden-Württemberg hat man den Versuch unternommen, über eine Verpflichtung zu Open-Access-Zweitverwertungen die Öffnung wissenschaftlicher Publikationen weiter voranzutreiben, über deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit zurzeit intensiv diskutiert wird. Bei diesem Modell wird den Forschenden jedoch gar nicht die Möglichkeit genommen, frei darüber zu entscheiden, wo sie erstveröffentlichen möchten.
DG: Denken Sie, dass frei zugängliche Wissenschaft bessere Juristinnen und Juristen hervorbringt?
NE: Eine frei zugängliche Wissenschaft sorgt zunächst einmal für mehr Chancengleichheit, weil ökonomische Zwänge keine Auswirkung mehr auf den Zugang zu Forschungsergebnissen haben. Die umfassende digitale Verfügbarkeit von Forschungsliteratur würde zudem die Publikationsrezeption deutlich vereinfachen, was sicherlich einen generellen Qualitätsanstieg juristischer Arbeit auslösen würde.
Erfahren Sie mehr in dieser Open Access-Publikation von De Gruyter
[Title Image by Tingey Injury Law Firm via Unsplash]