Vom Ursprung des Menschen im Symbolischen: Constantin Rauer im Interview

Was ist der Unterschied zwischen Tier und Mensch? Auf wann lässt sich der Ursprung des Menschen datieren? Und welche Rolle spielte dabei das Symbolische? François Bertemes sprach mit dem Paläophilosophen Constantin Rauer.

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François Bertemes: Herr Rauer, Sie haben in Genf, Paris, Berlin und Tübingen Philosophie und Religionswissenschaften, Kunstgeschichte, Psychologie und Komparatistik studiert, haben dann in Berlin und Brasilien Religionswissenschaften und Philosophie gelehrt und haben mit “Wahn und Wahrheit: Kants Auseinandersetzung mit dem Irrationalen” ein bahnbrechendes Werk zur Entstehung der kantischen Systematik geliefert. Und nun, seit zehn Jahren, befassen sie sich mit etwas völlig anderem, nämlich mit der Entschlüsselung der inhaltlichen Bedeutung der Höhlenmalerei und Eiszeitkunst. Was hat sie denn zu dieser Wende von der Philosophie zu paläolithischen Kunst bewegt?

Constantin Rauer: Nach zehn Jahren Kant – ich habe zehn Jahre an Wahn und Wahrheit gearbeitet – war ich etwas Kant-müde und hätte auch ein zweites Werk in der Art nicht mehr machen können. Da für mich Wissenschaft eben auch Herausforderungen ist, habe ich nach etwas Neuem gesucht.

Es gab die Vorbelastung, in der Kindheit war ich in Altamira, ein Jahr vor der Schließung, natürlich hatte ich in der Jugend Bataille gelesen zu Lascaux und viele viele Jahre Kunstgeschichte und dann kommt der zweite Schub sozusagen, von der Religionswissenschaft her. Da waren wir am religionswissenschaftlichen Institut in Berlin in der Klaus-Heinrich-Schule, die sehr psychologisch orientiert war an den großen Ursprungsphasen. Das war aber vor allen Dingen theoretisch. Bachofen, Durkheim, Freuds Religionstheorie, Bataille und eben auch Klaus Heinrich. Dann die Ethnologie, die Potlatch-Theorien, die Totemismustheorie, Erinnerungsortstheorie.

Irgendwann habe ich durch die Lektüre von populärwissenschaftlichen Zeitschriften gemerkt, dass eigentlich die empirische Grundlage von diesem ganzen Sachen heute gegeben ist – was uns Religionswissenschaftlern völlig unbekannt war und bis heute für die meisten vielleicht noch ist. Dann habe ich angefangen, mich dort zu orientieren und mir das genauer anzugucken. Daraus ist das Homo-Kultus-Projekt entstanden.

Dann kam wieder die Philosophie ins Spiel. In der philosophischen Anthropologie gibt es eine deutsche Schule, die beginnt mit Ernst Cassirer, der Philosophie der symbolischen Formen, dann Plessner, Scheeler und dann Hans Jonas, “Die Freiheit des Bildes: Homo Pictor und die Differentia Specifica des Menschen”. Das war so ein Block. Dann um die 2000er-Wende wurde das alles wieder aufgegriffen. Homo Pictor von Böhm, der Mensch ein Animal Symbolicum und dann Sachs-Hombach zum Visual Turn.

Wenn man diese Spezifika, also das spezifische des Menschen in seiner Symbolfähigkeit sieht und das von der philosophischen Anthropologie überträgt auf die jungpaläolithische Anthropologie, dann hat man eine gigantische Verschiebung.

Denn der Mensch in der paläolithischen Anthropologie beginnt mit einer bestimmten Hirngröße, mit dem aufrechten Gang und dem Werkzeuggebrauch – das Paläolithikum eben. Für mich aber beginnen der Mensch und die Bruchstelle zwischen Tier und Mensch nicht 2,6 Millionen oder 2,7 Millionen Jahre vor heute, sondern, mit dem was man die jungpaläolithische Revolution nennen könnte. Und das ist ganz wichtig. Für mich ist homo erectus zum Beispiel kein Mensch, sondern ein Affe. Und das ist etwas völlig anderes als das, was die Anthropologen gesehen haben.

Und daher stellt sich dann die Frage, woher kommt das Symbolische. Die paläolithischen Anthropologen versuchen dann einen Weg. Man hat Werkzeug, dann kommt ein ästhetisches Empfinden und dann hat man plötzlich Symbole. Völlig unmöglich, dieser Weg. Man sieht es ja schon: die Faustkeile sind vom Neandertaler, der ist aber nicht der große Entwickler des Symbolischen.

Die jungpaläolithische Revolution beginnt natürlich schon im späten Mittelpaläolithikum mit den Bestattungen und dann eben mit der Kunst. Und dann gibt es für mich zwei Fragen mit dem Ursprung des Symbolischen. Das Jungpaläolithikum, das sind 40.000 Jahre. Im Vergleich dazu, wenn man die Kultur beginnt mit den alten Ägyptern, dann sind das 5000 Jahre. Und das macht man sich überhaupt nicht klar, die ersten 30.000 Jahre sind völlig unbekannt und im Dunkel außerhalb der Archäologie. Und daraus kam der Antrieb, die jungpaläolithische Kunst zu untersuchen und zu schauen, was man symptomatisch daraus lesen kann – erstens, was sie bedeutet, inhaltlich, und zweitens, was man daraus für Schlüsse ziehen kann für den Ursprung des Menschen.

Das ganze Gespräch bei Youtube.

Texte von Constantin Rauer bei De Gruyter

Jüngst erschien Die Höhle Cougnac. Gewalt und Religion in der Höhlenmalerei, zuvor Lascaux oder Die Geburt der Ethik, beide in der Prähistorischen Zeitschrift.

Zu Immanuel Kant: Wahn und Wahrheit. Kants Auseinandersetzung mit dem Irrationalen, sowie Die Kritik des Wahns als Schlüssel zu Kants kritischer Wende im Band Recht und Frieden in der Philosophie Immanuel Kants und Totengespräch zwischen Kant und Nietzsche zur Moralphilosophie in Kant und Nietzsche im Widerstreit.

[Title Image by Traumrune / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0]

Constantin Rauer und François Bertemes

Constantin Rauer forscht an der Schnittstelle von Philosophie, Religionswissenschaft und Kunstgeschichte. François Bertemes ist Prähistoriker an der Universität Halle-Wittenberg und Mitherausgeber der Prähistorischen Zeitschrift.

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