Vom Kerbholz zum Smartphone – Mathe leicht gemacht seit der Steinzeit!

Trotz mangelnder Beliebtheit an Schulen weltweit gilt die Rechenkunst als gewaltige Kulturleistung der Menschheit. Und das zu recht: seit Jahrtausenden entwickeln wir immer ausgefeiltere Methoden und Instrumente, um der Zahlen Herr zu werden.

Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch „Meilensteine der Rechentechnik: Analog- und Digitalrechner, Automaten und Roboter, wissenschaftliche Instrumente, Schritt-für-Schritt-Anleitungen“ (Bd. 1).

Rechnen ist wie das Lesen und Schreiben eine grundlegende Kulturtechnik des Menschen. Im Lauf der Jahrtausende wurden verschiedene Verfahren entwickelt: Fingerrechnen, Rechnen mit Kugeln auf dem Rechenrahmen, Rechnen auf Linien mit Rechentischen, Rechnen mit dem Griffel auf der Schiefertafel oder mit der Feder auf Papier. Noch heute sind Strichlinien gang und gäbe, etwa beim Kartenspiel.

Zweck der mathematischen Instrumente war und ist es, die Menschen von der beschwerlichen Rechnerei zu befreien. Noch immer bereiten Kopfrechnen und Schriftrechnen vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Kummer.

Die Geschichte der Rechentechnik ist eng verknüpft mit der Geschichte der Himmelskunde, der Mathematik, des Vermessungswesens, der Schifffahrt, der Feinmechanik, der Uhrmacherkunst, des Instrumentenbaus und des Automatenbaus. Aber auch der Maschinenbau, die Physik, die Elektrotechnik und die Mikroelektronik spielen eine wichtige Rolle. Manche Informatikinstitute sind aus Instituten für angewandte, praktische, numerische Mathematik hervorgegangen. Viele Informatiker waren ursprünglich Mathematiker.

Historisches Rechenwerkzeug

Weit verbreitete Rechenhilfsmittel bzw. Datenspeicher waren – von den Fingern abgesehen – Kerbhölzer, (chinesische, peruanische) Knotenschnüre, Rechensteine, Rechentische und Zählrahmen. Als ältester Digitalrechner gilt der Abakus, der in zwei unterschiedlichen Formen vorliegt: als Rechenbrett (Rechentafel) und als Rechenrahmen (Kugelrechner).

Kerbhölzer
Mittelalterliche Kerbhölzer aus England. Kerbhölzer, oder auch Zählstäbe, dienten zumeist dazu Schuldverhältnisse fälschungssicher zu dokumentieren. Die Anzahl der in ein Holzbrettchen eingeritzten Kerben entsprach dabei der Schuldhöhe – anschließend wurde das Holz in der Mitte gespalten und sowohl Gläubiger als auch Schuldner bekamen je eine Hälfte. (Foto: Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0)

Zu den frühesten Analogrechnern gehören die Astrolabien (zweidimensionale Geräte zur Beobachtung und Lagebestimmung von Gestirnen, eine Navigationshilfe für die Seefahrt) und das geheimnisvolle Räderwerk von Antikythera. Weitere bedeutende Marksteine waren etwa der Kirchenrechner der astronomischen Uhr des Straßburger Münsters.

Antikythera Mechanism
Das Räderwerk von Antikythera im Archäologischen Nationalmuseum in Athen. Die über 2000 Jahre alte, äußerst komplexe astronomische Rechenmaschine wurde 1901 im Meer vor der griechischen Insel Antikythera entdeckt. Bis heute ist unbekannt, wo das Gerät gefertigt wurde und wer es erfunden hat. Manche betrachten das technische Wunderwerk als den ersten (analogen) Computer. (Foto: Wikimedia Commons, CC BY 4.0)

Im 17. Jahrhundert wurde der (logarithmische) Rechenstab erfunden, ein tragbares, preiswertes und geräuschloses Rechenmittel. In dieser Zeit entstanden auch die ersten mechanischen Rechenmaschinen. Die lauten Instrumente waren aber erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts praktisch brauchbar. Die Zahlen wurden unmittelbar mit den Fingern oder über Drehscheiben, Schieber, Stifte (Griffel), Drehräder oder Tasten eingegeben.

Geburt und Aufstieg der „mathematischen Maschine“

Ein bedeutender Vorläufer des heutigen Computers war die (programmgesteuerte) analytische Maschine von Charles Babbage. Sie wurde nie vollendet. Eine Ablaufsteuerung gab es übrigens schon bei antiken Automaten, mittelalterlichen und neuzeitlichen Turmuhren, Figurenautomaten, Musikdosen und Webstühlen. Nach der amerikanischen Volkszählung von 1890 kamen allmählich mannigfaltig verwendbare Lochkartenmaschinen auf.

Babbage's Analytical Engine
Versuchsmodel der “analytischen Maschine” im Science Museum London. Der britische Mathematikprofessor Charles Babbage konzipierte die mechanische Rechenmaschine im Jahr 1834 zur Lösung diverser mathematischer Funktionen, schaffte es jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1871 nur Teile davon zu bauen. Babbage gilt heutzutage als Computer-Pionier. (Foto: Wikimedia Commons, CC BY 4.0)

1931 erschien der erste Bericht über eine mächtige (elektro)mechanische Integrieranlage zur analogen Lösung von Differenzialgleichungen. Programmierbare mechanische Digitalrechner (Relaismaschinen) tauchten ab Anfang der 1940er Jahre auf.

1946 wurden in Europa die ersten Aufsätze über den riesigen amerikanischen Elektronenrechner Eniac bekannt. Im gleichen Jahr fand in Philadelphia eine Vortragsreihe zum Bau von programmierbaren Rechenmaschinen statt, und die einflussreiche Abhandlung über die moderne Von-Neumann-Rechnerbauweise war im Umlauf. Zahlreiche Tagungen zur Rechentechnik sollten den Informationshunger stillen.

In England fand ein Wettlauf um die ersten beiden speicherprogrammierten (programmgespeicherten) Digitalrechner statt, die 1948 in Manchester und 1949 in Cambridge zur Welt kamen. Aber auch eine New Yorker Maschine (1948) beanspruchte diese Ehre. Ab 1949 lief überdies der erste australische Computer (Csirac).

Auf dem europäischen Festland waren 1950 bloß zwei Relaisrechenautomaten im Dauerbetrieb, die streifengesteuerte Zuse Z4 in der Schweiz und der schalttafelgesteuerte Bark in Schweden. Speicherprogramm bedeutet, dass Daten und Anweisungen in gleicher Form im selben (inneren) Speicher gehalten werden. Die Maschine wird in diesem Fall durch ein internes Rechenprogramm gesteuert.

Die ersten Röhrenrechner gelangten 1951 in den Handel (Ferranti mark 1 in England und Univac in den USA), und der erste speicherprogrammierte Computer Kontinentaleuropas wurde fertig gestellt, die ukrainische Mesm.

Die Unesco plante ein europäisches Rechenzentrum, das schließlich mit erheblicher Verspätung und mit anderer Aufgabenstellung in Rom verwirklicht wurde. Amerikanische Großunternehmen errichteten Forschungszentren im Raum Zürich (International Business Machines und Radio Corporation of America) und in Genf (Battelle Memorial Institute).

Niemand ahnte, dass der hoch geheime britische Elektronenrechner Colossus Anfang 1944 in Betrieb genommen wurde. Erst über dreißig Jahre später erfahren wir von seiner Existenz und vom aufreibenden Kampf mit der Turing-Welchman-Bombe gegen die Verschlüsselungsmaschine Enigma.

Colossus
Der Röhrencomputer “Colossus” wurde in England während des zweiten Weltkriegs zur Entschlüsselung geheimer Nachrichten des deutschen Militärs gebaut. Hier wird er von den zwei “Wrens” Dorothy Du Boisson und Elsie Booker bedient (Foto: Wikimedia Commons, CC BY 4.0)

Man sprach damals von mathematischen Maschinen. Bis zur Jahrhundertmitte waren Rechner Menschen. Die Rede ist etwa von „female computer“. Später unterscheidet man zwischen „human computer“ und „digital computer“.

Anfänge der Informatik

In den 1950er Jahren bauten viele technische Hochschulen und Universitäten programmierbare Rechenautomaten. Man wollte den Anschluss an die Entwicklung in England und den Vereinigten Staaten nicht verpassen. Den käuflichen Geräten traute man offenbar nicht. Dafür gab es unterschiedliche Gründe: Die Maschinen waren nicht auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten, zu störanfällig oder zu teuer, ihre Bedienung und Wartung zu aufwendig. Überdies war man vom Ausland abhängig. Eigenleistungen dienten zudem der Lehre und der Forschung. Die Vermarktung der frühen Elektronenrechner war nur an wenigen Orten erfolgreich, etwa in Manchester, Cambridge, London, Philadelphia, ferner in Delft und Dresden. Sie war aber auch nicht überall beabsichtigt.

Der Eigenbau von speicherprogrammierten Rechnern verlor in den 1960er Jahren an Bedeutung. Die Industrie lieferte nun serienmäßig gefertigte Anlagen. An den Universitäten verlagerte sich der Schwerpunkt von den Geräten zur Programmierung und zum Entwurf von Programmiersprachen. Es bahnte sich eine Neuausrichtung an, ein Wandel vom Rechnerbau zur Nutzung der Informatikmittel. Die frühzeitige Einführung von Informatikstudiengängen wurde allerdings vielerorts versäumt.

In den 1970er Jahren wurden die mechanischen Rechner – Rechenschieber wie auch Rechenmaschinen – jäh durch elektronische Geräte abgelöst. Die Entwicklung bahnte sich schon 1961 mit der Tischrechenmaschine Anita an. Rund zehn Jahre später waren batteriebetriebene elektronische Taschenrechner von Canon, Hewlett-Packard, Sanyo, Sharp und Texas Instruments erhältlich. In Vergessenheit gerieten nicht nur die Rechenstäbe, sondern auch viele andere analoge Geräte: Proportionalwinkel, Reduktionszirkel, Planimeter, Pantografen, Koordinatografen.

Tischrechner Anita
“Anita”, der erste elektronische Tischrechner der Welt, war etwa so groß wie eine Schreibmaschine und kostete 1961 mit 4.200 DM soviel wie ein VW-Käfer. (Foto: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Ein Gerät für jeden Zweck?

Die elektromechanischen und elektronischen Digitalrechner hatten anfänglich in erster Linie Berechnungen ausgeführt. Computer können trotz ihrer Bezeichnung jedoch vielmehr als nur rechnen. Sie sind auch in der Lage, mit Buchstaben und Sonderzeichen umzugehen. Texte werden in Form von Zahlen verschlüsselt. Das gilt auch für Fest- und Bewegtbilder (Zeichnungen, Fotos, Videos, Filme) sowie für Töne. Man spricht von nichtnumerischen Daten. Die Maschine beherrscht auch das Schachspiel.

Die auf die Verwaltung zugeschnittene maschinelle Datenverarbeitung verschmolz mit dem wissenschaftlichen Rechnen. Die Entwicklung verläuft immer stürmischer, die Lebensdauer der Geräte nimmt zusehends ab.

Vielzweckgeräte ersetzen allmählich Einzweckinstrumente, sie werden kleiner, leichter, leistungsfähiger, billiger, aber auch empfindlicher. Informationstechnik, Fernmeldewesen und elektronische, audiovisuelle Medien (Hörfunk, Fernsehen) wachsen zusammen. Verschwunden ist auch die Schreibmaschine. Das weltumspannende Internet verbindet die Menschheit. Das World Wide Web erlebt einen ungeheuren Aufschwung. Gefahren und Pannen nehmen zu. Die Privatsphäre, das Urheberrecht und das Dateneigentum werden allzu oft missachtet.

“Von einem klugen Allzweckroboter sind wir nach wie vor meilenweit entfernt.”

Einmal mehr erhofft man sich von künstlichen Intelligenz Lösungen für die Probleme der Menschheit. Von einem klugen Allzweckroboter sind wir aber nach wie vor meilenweit entfernt. Wie die theoretische Informatik nachweist, sind nicht alle mathematischen Aufgabenstellungen mit Digitalrechnern lösbar, selbst wenn ein unendlicher Speicher und beliebig viel Zeit zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung breitet sich aus, soziale Netze verbinden die Menschen. Der Internethandel, das Internet der Dinge, die teilende Wirtschaft und die Technik der Blockkette erfordern neue Geschäftsmodelle. Die Druckmedien kämpfen ums Überleben. Der Quantenrechner steht vor der Tür.

iPhone
Die Einführung des iPhones im Jahr 2007 leitete die Ära der internetfähigen Mobiltelefone ein. (Foto: Benjamin Sow/Unsplash)

Allgegenwärtig ist das internetfähige Mobiltelefon. Damit ist unterwegs je nach Größe des Bildschirms eine fast unerschöpfliche Menge von Anwendungen verfügbar: Abspielgerät (Ton und Bild), Abtastgerät (Scanner), Briefkasten, Diktiergerät, elektronische Post, Fahrplan, Fahrkartenautomat, Fernseher, Frankiermaschine, Funkgerät, Geldbörse, Höhenmesser, Internethandel, Kompass, Kamera (Foto, Video), Kino, Landkarte, Lesebuch, Lehrmittel, Navigationsgerät, Notizblock, Pulsmesser, Radio, Routenplaner, Schallpegelmesser, soziale Netzwerke, Spielzeug, Sprachübersetzung, Suchmaschine, Taschenagenda, Taschenlampe, Taschenrechner, (Bild-)Telefon, Telefonbuch, Uhr, Wetterbericht, Wörterbuch, Zeitung.

Blick zurück nach Vorn

Der Weg vom Kerbholz über den Abakus bis zum dezimalen Stellenwertsystem mit der Zahl 0 und dem modernen Computer war steinig. Dazu brauchte es Jahrtausende. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie sich unsere Vorfahren mit dem Rechnen abmühen mussten. Wohin die schnelle, unaufhaltsame Reise geht, wie die Zukunft aussieht, ist kaum abzuschätzen.

Obwohl die Informatik im Vergleich zur Mathematik und zur Physik noch jung ist, liegen die Anfänge bereits im Dunkeln. Die Zeitzeugen sind gestorben, wichtige Geräte längstens verschrottet, die Dokumente entsorgt. Es ist oft schwierig, aus den wenigen Bruchstücken, den Mosaiksteinchen, ein Gesamtbild zusammenzusetzen.

Manche Bezeichnungen für althergebrachte Rechenmittel haben sich in unserer Sprache niedergeschlagen: digital ist von lateinisch „digitus“ (Finger) abgeleitet. Kalkül ist auf lateinisch „calculus“ (Rechenstein) zurückzuführen. Die Herkunft der Wendung „etwas auf dem Kerbholz haben“ ist offensichtlich. Geläufig ist auch der Ausdruck „nach Adam Ries“ (deutscher Rechenmeister).

Zu guter Letzt

Wissen Sie, wie man mit dem Abakus rechnet? Wenn nicht, finden Sie hier eine Anleitung für den Kugelrechner!

[Title Image via Getty Images]

Herbert Bruderer

Herbert Bruderer ist Technikhistoriker und Dozent im Ruhestand am Departement für Informatik der ETH Zürich.

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