Studium und Promotion mit Hörbehinderung: Wir müssen reden!
Schlechte Akustik, fehlendes Verständnis von Lehrenden und unflexible Studienvorgaben – hörbehinderte und gehörlose Personen sehen sich im Hochschulbetrieb mit einer Vielzahl an Barrieren und Beeinträchtigungen konfrontiert. Was können wir tun, um diese Hürden abzubauen? Ein Beitrag zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen.
Vermehrt wird in der jüngsten Zeit auch und gerade durch selbst Betroffene über die Situation von Menschen mit Behinderung gesprochen. Nicht zuletzt hat die Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 den Fokus stärker auf die Inklusion im Bildungswesen gerichtet.
Aus diesem Grund möchte ich anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen (engl. International Day of Persons with Disabilities) einige persönliche Beobachtungen und Erfahrungen in Studium und Promotion aus der Sicht eines Menschen mit Hörbehinderung schildern. Damit verbunden ist die Hoffnung, mehr Bewusstsein für diese so gut wie unsichtbare Behinderung zu schaffen, und gleichzeitig zum Dialog zu ermuntern.
Vorweggeschickt sei die Feststellung, dass es nicht „die eine Hörbehinderung“ gibt, sondern vielmehr ein breites Spektrum an Hörschädigungen mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen an die Barrierefreiheit. Um meinen subjektiven Standpunkt innerhalb dieses Spektrums zu verorten: Ich selbst bin von Kindheit an hochgradig schwerhörig und bin als Erwachsener ertaubt, ich trage daher ein Hörgerät und eine elektronische Innenohrprothese, ein sogenanntes Cochlea-Implantat. Meine Muttersprache ist Deutsch. Erst sehr spät habe ich angefangen, die Deutsche Gebärdensprache (DGS) zu lernen.
Studium mit Tücken
Für Studierende mit einer Hörbehinderung gibt es verschiedene strukturelle Barrieren, die den Studienerfolg und auch eine mögliche spätere akademische Karriere gefährden können. Das ist nicht zuletzt deshalb bedauerlich, weil der Anteil von Studierenden mit Hörbehinderung stark ansteigt, wie die best2-Umfrage des Deutschen Studentenwerks ergeben hat. Darunter sind auch gehörlose Personen, die angeben, im Studium besonders stark beeinträchtigt zu sein.
“Der eigentliche Kern des Studierens, die vertiefte gedankliche Auseinandersetzung mit dem Gehörten, tritt unter der gestiegenen kognitiven Kompensationsanstrengung stark zurück.”
Die Probleme beginnen schon bei den baulichen Gegebenheiten in den meisten Hörsälen, die häufig stark hallende Altbauten sind. In solchen Umgebungen ist das Hörverstehen zusätzlich eingeschränkt und der eigentliche Kern des Studierens, die vertiefte gedankliche Auseinandersetzung mit dem Gehörten, tritt unter der gestiegenen kognitiven Kompensationsanstrengung stark zurück. Hintergrundlärm und Nebengeräusche tun ihr Übriges. Häufig muss im Vergleich zu anderen Studierenden mehr Zeit in die Nachbereitung investiert werden, um den Stoff adäquat aufzubereiten.
Maßnahmen wie der Einsatz von technischen Hilfen sowie Schrift- und/oder Gebärdensprachdolmetschenden müssen aufwendig beantragt und häufig lange im Voraus geplant werden. Oft sind sie auch unflexibel, wenn Änderungen im Zeitablauf bei den besuchten Lehrveranstaltungen eintreten.
Ein erhöhter Planungsaufwand ergibt sich auch für mögliche Nachteilsausgleiche bei Prüfungen, beispielsweise eine Zeitverlängerung, um die sich oft auch auf die Schriftsprache auswirkenden Schwierigkeiten von Menschen mit Hörbehinderung zu kompensieren. Mitunter äußern Lehrende (manchmal auch Mitstudierende) Unverständnis oder Genervtheit über vermeintliche Vorteile für Studierende mit Behinderung. Bisweilen werden gerade bei den technischen Lösungen auch datenschutzrechtliche Bedenken vorgetragen – all das belastet Betroffene zusätzlich, denen es oft ohnehin nicht leichtfällt, ihre Bedarfe zu äußern.
Auch die digitale Infrastruktur kann eine Hürde darstellen, wenn es beispielsweise um den Einsatz von Ferndolmetschdiensten geht. Verbindungsabbrüche und Aussetzer bei der Übertragung können das Verständnis einer Lehrveranstaltung massiv beeinträchtigen.
Ich kenne Personen mit Hörbehinderung, die wegen solcher Hürden ihr Studium vor einem Abschluss beendet haben oder zumindest entschlossen waren, nach einem absolvierten Bachelor kein Masterstudium mehr anzustreben. Erfreulicherweise haben auch viele in meinem Umfeld ihr Studium mit Erfolg absolvieren können. In meinem Bekanntenkreis bin ich jedoch bislang die einzige Person mit Hörbehinderung, die sich zusätzlich dem Promotionsverfahren gestellt hat.
Anstrengendes Multitasking
All diese Beobachtungen besitzen selbstverständlich allenfalls eine anekdotische Evidenz und sollen nicht den Anspruch auf Objektivität erheben. Ich denke aber, dass es einige promotionsspezifische Hindernisse gerade für Menschen mit Hörbehinderung gibt, die sich auch auf einen möglichen Karrierewunsch in der Wissenschaft auswirken können und bereits von vornherein Interessierte von einer Promotion absehen lassen. Das möchte ich vor allem an zwei Aspekten verdeutlichen, die für diese Personengruppe aus meiner Sicht in besonderer Weise herausfordernd sind.
Promovierende mit dem Ziel einer wissenschaftlichen Laufbahn sehen sich unter anderem mit der Erwartung konfrontiert, dass sie Aufgaben in der Lehre übernehmen und ihre Forschungsarbeit auf Konferenzen und Tagungen bekannt machen sollen. Beides ist zentral für die Qualifikation und erfordert viel kommunikative Leistung, die für Menschen mit Hörbehinderung nicht immer problemlos und unbegrenzt abrufbar ist.
“Der Wechsel auf die Seite der Lehrenden führt nicht unbedingt zu einer Verbesserung der zuvor geschilderten Situation Studierender.”
So führt der Wechsel auf die Seite der Lehrenden nicht unbedingt zu einer Verbesserung der zuvor geschilderten Situation Studierender. Die Folge ist eher ein anstrengendes Multitasking zwischen dem allgemeinen fachlichen Anspruch einer gelungenen Lehrveranstaltung und dem damit verbundenen Erfordernis, entstehende Fragen und Diskussionen sinnvoll moderieren zu können.
Sprechende wechseln sich in der Regel in sehr kurzen Zeitabständen ab. Das bedeutet für Menschen mit Hörbehinderung eine permanente Neueinstellung auf individuelle Sprechweisen und unterschiedliche Mundbilder, die mit einer erhöhten Konzentrationsanstrengung verbunden ist. Ähnlich sieht dies bei Tagungen aus, wobei hier meist noch die zusätzliche Erschwernis einer Fremdsprache hinzutritt.
Glücklicherweise habe ich hier in letzter Zeit vermehrt die Tendenz beobachtet, dass Referierende vorab Folien und/oder ein Skript zur Verfügung stellen, um die Zugänglichkeit zu verbessern. Auch die Akzeptanz und die Bekanntheit technischer Hilfsmittel scheint meinem Eindruck nach zu steigen. Es bleibt jedoch zu betonen, dass die behinderungsspezifischen Probleme in dieser Qualifikationsphase zusätzlich zu den strukturellen Problemen im wissenschaftlichen Umfeld auftreten, die seit einiger Zeit vermehrt unter #IchbinHanna diskutiert werden.
Nicht alle haben zudem das Glück, so gute Bedingungen für ein Erststudium und eine Promotion vorzufinden, wie ich selbst sie hatte: Ein familiäres Institut, viel Flexibilität und Verständnis für berufstätige Promovierende und vor allem ein Betreuungsverhältnis, in dem auch viel auf menschlicher Ebene kommuniziert wurde. Auch die gebotene Möglichkeit, selbst eine Lehrveranstaltung abzuhalten, habe ich sehr gerne angenommen und denke, dass ich daran gewachsen bin.
Kommunikation ist zentral
Aus alldem ergibt sich auch meine Handlungsempfehlung, um Menschen mit Hörbehinderung ein barriereärmeres Umfeld bieten zu können: Kommunikation, und zwar in jeder Phase der Ausbildung und Qualifizierung. Nur, wenn Betroffene gezielt die eigenen Barrieren und Bedürfnisse ansprechen, kann überhaupt Verständnis für die eigene Situation erzielt werden. Dafür ist aber genau die eben beschriebene offene Atmosphäre notwendig, die auch anderen Betroffenen das Gefühl gibt, solche Dinge ansprechen zu können.
“Viele Barrieren wirken weniger einschüchternd, wenn ihnen nicht allein begegnet werden muss.”
Die gute Nachricht ist, dass die ersten Schritte für eine solche Atmosphäre schnell gemacht sind. So kann zu Semesterbeginn in einer Lehrveranstaltung darauf hingewiesen werden, dass Studierende sich gerne an die Lehrperson wenden können, wenn sie behinderungsbedingte Hürden für das erfolgreiche Absolvieren der Lehrveranstaltung erkennen.
Informationen über den Abbau von Barrieren können – sofern die Betroffenen sie nicht ohnehin von Anfang an äußern – an den meisten Hochschulen und Universitäten recht einfach beschafft werden. Häufig bieten die zuständigen Beauftragten Beratungen und Schulungen für Beschäftige der Hochschulen an und halten Informationsmaterial vor, das genauere Informationen zu den unterschiedlichen Behinderungen und den damit verbundenen Bedarfen bietet. Wenn diese Angebote genutzt werden, ist das schon ein wichtiger erster Schritt.
Sofern Sie sich also gerade im Studium befinden: Nehmen Sie Kontakt zur Beratungsstelle an Ihrer Universität auf und suchen Sie den Austausch. Viele Barrieren wirken weniger einschüchternd, wenn ihnen nicht allein begegnet werden muss.
Wenn Sie in der Lehre tätig sind: Beschaffen Sie sich bei den genannten Stellen Informationsmaterial, selbst wenn Sie gerade keine Studierenden mit Behinderung unterrichten. So können Sie sich schnell einen Überblick verschaffen und möglicherweise auch vorhandenen eigenen Unsicherheiten begegnen, sobald Ihnen gegenüber auf Barrieren aufmerksam gemacht wird.
Und vor allem: Hören Sie zu, lassen Sie sich auf das Gespräch ein. Ich kann Ihnen versichern, dass sich dieses zwischenmenschliche Investment gerade dann lohnt, wenn die Barrieren vor allem strukturell bedingt sind. Hier können Sie für Betroffene einen echten Unterschied machen – warum nicht anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen damit beginnen?
[Titelbild von izusek/iStock/Getty Images Plus