Frauen in der Wissenschaft sichtbarer machen – so kann es gelingen

Forscherinnen sind in klassischen Medien und der Wissenschaftskommunikation unterrepräsentiert – mit gravierenden Auswirkungen. Ein neues Projekt der Fachhochschule Potsdam möchte das ändern.

Studien zeigen: Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sind Wissenschaftlerinnen in den Medien deutlich weniger präsent. Sie werden seltener als Expertinnen für Medienformate angefragt und kommen durch männliche Selbstinszenierung seltener zu Wort. Darüber hinaus dominieren noch immer Stereotypen die mediale Berichterstattung und prägen so das öffentliche Bild von Wissenschaftlerinnen.

Nicht nur treten dabei die Forscherinnen selbst, sondern auch ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Hintergrund. Diese Schieflage in der Wissenschaftskommunikation gilt es dringend zu beheben. Aber wie?

Ein Blick in die Zahlen und Forschung

Frauen werden von Journalist*innen im Gegensatz zu Männern erst ab einer höheren Qualifikationsstufe als Expertinnen angefragt. Darauf deuten verschiedene Studien hin. Gleichzeitig herrschen auf der akademischen Karriereleiter nach wie vor ungleiche Verhältnisse.

Trotz einer fast ausgewogenen Besetzung im akademischen Mittelbau mit 40,7% wissenschaftlichem und künstlerischem Personal sinkt der Frauenanteil in der Wissenschaft nach Studienabschluss und besonders nach Abschluss der Promotion stetig. 2021 war nur jede vierte hauptberufliche Professur mit einer Frau besetzt. Viele Wissenschaftlerinnen steigen insbesondere auf dem Weg zur Professur aus entweder freiwillig oder aus strukturellen Gründen wie dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

“Um diesem Drop-Out des wissenschaftlichen Nachwuchses entgegenzuwirken sind Rollenvorbilder – auch in den Medien – nachweislich wichtig.”

Um diesem Drop-Out des wissenschaftlichen Nachwuchses entgegenzuwirken sind Rollenvorbilder – auch in den Medien – nachweislich wichtig. Laut einer Studie der MaLisa Stiftung aus dem Jahr 2020 war jedoch in 174 untersuchten TV-Informationssendungen mit Corona-Bezug nur eine von fünf Expert*innen weiblich. In Onlineberichten waren es sogar nur 7% Frauen, die als Expertinnen erwähnt wurden.

Langsamer Wandel trotz Tendenzen für Veränderung

Erste Studien zeigen allerdings auch, dass es Tendenzen für einen Wandel gibt. So kam eine vergleichende Untersuchung der Schweizer Medienberichterstattung zur ersten und zweiten Coronawelle zu dem Ergebnis, dass mehr weibliche Expertinnen in den Medien sichtbar wurden. Im Vergleich zur ersten Welle stieg die Präsenz von Wissenschaftlerinnen in der Berichterstattung von 12% auf 21%.

Dänische Forscher*innen führten außerdem eine Studie zur Wahrnehmung von Politik-Expert*innen durch. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass männliche und weibliche Expert*innen gleichermaßen als kompetent und überzeugend von ihren Leser*innen wahrgenommen werden – und das obwohl Politik-Expertinnen seltener zu Wort kommen.

Trotz Anzeichen für eine Veränderung bleibt das Problem der fehlenden Geschlechtergleichstellung bestehen.

Was muss sich ändern, damit Wissenschaftlerinnen sichtbarer werden?

Drei Dinge müssen sich ändern, um Wissenschaftlerinnen sichtbarer zu machen, mehr Rollenvorbilder zu schaffen und somit dem Ausstieg von Frauen aus der Wissenschaft entgegenzuwirken:

1.) Medienschaffende müssen für das Problem der Unterrepräsentation von Wissenschaftlerinnen sensibilisiert werden.

2.) Wissenschaftlerinnen müssen stärker an Wissenschaftsformaten beteiligt werden. Im gleichen Zuge sollten Frauen mehr Bereitschaft zur Beteiligung an Wissenschaftskommunikation in den Medien zeigen. Eine Studie im britischen Kontext legt nahe, dass auch die Zögerlichkeit von Wissenschaftlerinnen, bzw. die Sorge, als aufdringlich wahrgenommen zu werden, eine Rolle bei ihrer mangelnden Sichtbarkeit im Vergleich zu männlichen Kollegen spielen kann.

Auch die eigene Wissenschaftskommunikation auf sozialen Medien wird immer wichtiger für Forscher*innen, um ihre Arbeit für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Auf Plattformen wie Instagram, Twitter oder TikTok können Wissenschaftler*innen ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse kommunizieren und als Forschende sichtbar für die Öffentlichkeit und für potentielle Medienanfragen werden.

3.) Das Bewusstsein von Journalist*innen für ausgewogene Geschlechterverhältnisse in der Berichterstattung muss verstärkt werden. Journalist*innen sollten darüber hinaus auf stereotypische Darstellungen von Wissenschaftlerinnen sowie den Fokus auf ihr Aussehen verzichten und stattdessen auf ihre wissenschaftliche Expertise setzen.

Wissenschaftlerinnen in die Medien

Um der Unterrepräsentation von Frauen im Wissenschaftsjournalismus weiter auf den Grund zu gehen und Lösungsansätze zu entwickeln, startete im Oktober 2022 das dreijährige BMBF-Forschungs- und Anwendungsprojekt “Wissenschaftlerinnen in die Medien” an der Fachhochschule Potsdam unter der Leitung von Prof. Dr. Judith Ackermann.

Im ersten Schritt untersuchen wir, warum und wie Wissenschaftlerinnen in Print, TV und Radio unterrepräsentiert sind. Ergänzend befragen wir unterschiedliche Wissenschaftler*innen, um mehr über ihre Haltungen zu und Erfahrungen mit Medienarbeit und Wissenschaftskommunikation herauszufinden.

“Durch unser Projekt wollen wir die Arbeit von Wissenschaftlerinnen in klassischen und sozialen Medien sichtbarer machen.”

Durch unser Projekt wollen wir die Arbeit von Wissenschaftlerinnen in klassischen und sozialen Medien sichtbarer machen. Dafür entwickeln wir gemeinsam mit unseren Medienpartner*innen aus Print, TV und Radio innovative Formate, um die Expertise von Wissenschaftlerinnen hervorzuheben und Rollenvorbilder für den zukünftigen wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen.

Ein weiteres Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer bundesweiten Open-Access-Unterstützungsstruktur für Wissenschaftlerinnen und Journalist*innen. Dieses modulare Angebot umfasst Handlungsempfehlungen für Akteur*innen der Hochschulkommunikation und für Redaktionen zur Anfrage von Frauen als Expertinnen. Für (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen bietet die Unterstützungsstruktur außerdem Weiterbildungsmodule zum Thema Wissenschaftskommunikation sowie Empfehlungen, wie sie soziale Medien dabei gezielt nutzen können.

Während der gesamten Projektlaufzeit geben wir Einblicke in unsere Forschung und betreiben aktiv Wissenschaftskommunikation auf Instagram, TikTok, Twitter und LinkedIn. Im Rahmen der Aktion “Eine Frau, ein Buch” stellen wir regelmäßig neue und aktuelle Veröffentlichungen von Wissenschaftlerinnen vor. Interessierte Forscherinnen können uns über unsere Social-Media-Kanäle eine Nachricht schicken, um teilzunehmen.

Auf Instagram, TikTok und Twitter haben wir außerdem die #WimBookChallenge gestartet. In der Challenge werden Herausgeber*innen aufgefordert, die in ihren Sammelbänden vertretenen Wissenschaftlerinnen der Öffentlichkeit mit einem Video oder Tweet vorzustellen.

Des Weiteren findet jeden zweiten Dienstag im Monat das Instagram-Live-Format “Kopf und Kuchen” statt. Dabei sprechen wir mit einem klugen Kopf aus der Wissenschaft und/oder Wissenschaftskommunikation über Forschung und WissKomm. Das Format wird aufgezeichnet und ist danach auf Instagram abrufbar.

Über die dreijährige Laufzeit hinweg hoffen wir, möglichst viele Wissenschaftlerinnen und Medienschaffende zu erreichen, um einen nachhaltigen Beitrag zu mehr Sichtbarkeit von Frauen und ihrer Expertise zu leisten.

[Title Image by South_agency/E+/Getty Images]

 

Judith Ackermann

Projektleitung Prof. Dr. Judith Ackermann ist Forschungsprofessorin für Digitale Medien und Performance in der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Potsdam. “WIM” ist ihr drittes BMBF-Projekt und eine absolute Herzensangelegenheit. Die Idee für das Projekt kam ihr durch ihre eigenen Wissenschaftskommunikations-Aktivitäten im Netz und in den klassischen Medien.

Anna-Sophie Barbutev

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin unterstützt Anna-Sophie Barbutev das Projekt durch ihre journalistische Expertise. Zuvor hat sie als freie Journalistin für Medien wie ZEIT, SZ und Krautreporter gearbeitet. Aktuell promoviert sie zu Hassrede gegen Wissenschaftlerinnen und möchte durch die Arbeit im Projekt zu einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis in der Berichterstattung beitragen.

Anne Gerlieb

Anne Gerlieb ist Doktorandin und unterstützt als wissenschaftliche Mitarbeiterin das Projekt, durch ihre langjährige Erfahrung in Diversity, Equality & Inclusion Projekte. Sie hat zuvor als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Beraterin u.a. an der WWU Münster, Miller & Meier Con-sulting, Amazon und TikTok gearbeitet. Ihre Promotion beschäftigt sich ebenfalls mit dem Einfluss der medialen Sichtbarkeit von Frauen auf die Gesellschaft.

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