Bühne frei für starke Frauen der Geschichte: Jasmin Lörchner und ihr Podcast „Herstory“
Jahrhundertelang wurden Frauen in der Geschichtsschreibung ignoriert oder systematisch unsichtbar gemacht. Doch mit „HerStory“ bringt Jasmin Lörchner die Geschichten der Wegbereiterinnen von gestern wieder ans Licht.
„Frauen machen Revolution, erringen wissenschaftliche Durchbrüche, entwickeln Erfindungen, gehen auf Abenteuer oder regieren kriminelle Organisationen – aber in den Geschichtsbüchern landen wichtig aussehende Herren mit Wohlstandsbäuchen, Monokeln, Pfeifen, Schnurrbärten und großen Colts“, schreibt Jasmin Lörchner auf der Website ihres Podcasts.
Das erklärte Ziel der freien Journalistin, die im Nebenfach Geschichte studiert hat, ist es, starken Frauen der Geschichte – losgelöst von Prominenz oder Vorbildfunktion – mit „HerStory“ alle zwei Wochen eine Bühne zu geben. Unter den vergangenen Episoden finden sich dabei sowohl fast gänzlich „ausradierte“ Frauen, wie die Pharaonin Hatshepsut, als auch bekanntere Persönlichkeiten, wie die Widerstandskämpferin Sophie Scholl.
Wir sprachen mit Jasmin Lörchner über die Entstehung von „HerStory“, ihren kreativen Prozess und eine starke Frau, deren Schicksal sich ihr besonders eingeprägt hat.
De Gruyter: Was interessiert Sie an Geschichte und im Speziellen der Geschichte von starken Frauen?
Jasmin Lörchner: Grundsätzlich fasziniert mich an Geschichte, dass alles und jeder eine Vergangenheit hat, was diese Vergangenheit ausmacht und wie Geschichte die Gegenwart beeinflusst. Ich glaube, dass das Verständnis von Geschichte unserer Entscheidungen heute beeinflussen kann und sollte. Beim genauen Hinsehen fällt aber immer wieder auf, dass in der Geschichtsschreibung oft Jahreszahlen verbunden mit Männernamen auftauchen. Frauen führen eine Art Schattendasein: Sie werden übersehen oder übergangen. Oder ihre Geschichten werden nach dem immer gleichen Muster erzählt.
“Jede Frau, die die Beschränkungen ihrer Zeit meistert, ist für mich eine starke Frau.”
Ich suche für meinen Podcast nach vergessenen oder ignorierten Frauen und schaue hinter eindimensionale Narrative. Mich interessieren Frauen, die sich ihren Weg suchten und sich weder von Geschlechterrollen noch von sozialen Erwartungen definieren ließen. Mir geht es dabei nicht ausschließlich um außergewöhnliche Biografien – jede Frau, die die Beschränkungen ihrer Zeit meistert, ist für mich eine starke Frau. Und ich beschränke mich im Podcast auch nicht nur auf Frauen, die als Vorbilder taugen. Ich finde, dass wir bei der Aufarbeitung von Frauengeschichte auch Täterinnen und Frauen mit komplexen Biografien beleuchten müssen. Auch das ist Teil von Frauengeschichte.
DG: Woher kam die Idee, einen Podcast zu dem Thema zu machen?
JL: Ich hatte mich schon länger mit dem Gedanken getragen, einen Podcast zu machen. Ich bin hauptberuflich freie Journalistin für Print- und Online-Medien und fand es spannend, in die Audiowelt einzutauchen. Bei Recherchen stolpere ich immer wieder über Frauen, von denen ich vorher noch nicht gehört oder gelesen habe. Die Namen sammelten sich bei mir langsam aber sicher an. Als dann die Corona-Krise kam, hatte ich als Freiberuflerin wie so viele andere auch einen Panikmoment, in dem die Auftragslage sehr fraglich war. In diesem Moment dachte ich: Bevor ich bald nichts zu tun habe, gehe ich jetzt die Podcast-Idee an. Und dann war direkt klar, dass ich dafür mein Interesse für Geschichte und die Sichtbarkeit von Frauen zusammenbringe und über Frauen in der Geschichte podcaste.
DG: Wie wählen Sie die Frauen aus?
JL: Ich versuche alle Epochen, Kontinente und Genres abzudecken. Ich versuche Geschichte nicht nur mit einem westlichen Fokus zu erzählen, aber beim Blick auf Asien, Afrika oder Südamerika stoße ich schnell auf Sprachbarrieren oder eine dünne Quellenlage. Mir ist wichtig, dass ich zu den Frauen gute und verlässliche Informationen finde, ein Wikipedia-Artikel reicht da nicht aus. Ich behandle Frauen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der Kunst. Unabhängig von ihrer Nationalität und der Gesellschaft, in der sie lebten, haben viele der Frauen, die ich thematisiere, den an sie gestellten Erwartungen nicht entsprochen. Sie hatten dafür vielfältige und sehr verschiedene Motivationen – und genau diese Geschichten interessieren mich.
DG: Wie bereiten Sie die Episoden vor?
JL: Meine Episoden erscheinen im Zwei-Wochen-Rhythmus. Die Zeit dazwischen ist gut gefüllt: Der erste Schritt ist die Suche nach Quellen. Ich lese so viel wie möglich zu den Frauen, meist mindestens eine Biographie und zusätzlich wissenschaftliche oder journalistische Artikel. Dann trage ich die Informationen für eine etwa einstündige Episode zusammen. Dafür schreibe ich ein Skript und erst dann kommen Aufnahme und Schnitt.
DG: Welche Frau hat bisher am meisten Eindruck bei Ihnen hinterlassen?
JL: Das ist schwer zu sagen, weil jede Frau auf ihre Weise beeindruckend ist. Besonders bewegt hat mich der Fall der Afroamerikanerin Henrietta Lacks. Sie war 30, als bei ihr Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert wurde. Während der Behandlung wurden Lacks ohne ihr Wissen Zellen entnommen – die ersten menschlichen Zellen, aus denen eine permanente Zelllinie entwickelt wurde: HeLa-Zellen (benannt nach den Initialen von Henrietta Lacks) existieren bis heute in Labors in aller Welt. An ihnen werden Krankheiten und Pharmazeutika getestet, sogar die Covid-Impfung.
Henrietta Lacks erzählte man allerdings nie, dass man ihr Zellen entnommen hatte und wofür man sie verwandte. Lacks starb mit 31 Jahren an Krebs. Auch ihre Familie wusste jahrzehntelang nichts davon – und war so arm, dass sich Familienmitglieder selbst keine Krankenversicherung leisten konnten. Dass die Wissenschaft dank Henrietta Lacks bis heute große Fortschritte machen kann, man aber weder ihr noch ihrer Familie so lange keinen Respekt zollte, das hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
DG: Welche Podcasts hören Sie selbst gerne?
JL: Wenn es um Frauengeschichte geht, höre ich sehr gern „Frauen von damals“ von Bianca Walther, die zu frauenliebenden Frauen um 1900 forscht und sich mit der Frauenbewegung sehr gut auskennt. Ich habe schon wahnsinnig viel von ihr gelernt! Großartig finde ich auch „Die Anachronistin“ von Nora Hespers, die in dem Podcast der Geschichte ihres Großvaters nachspürt, der Widerstandskämpfer im Dritten Reich war und dafür von den Nazis ermordet wurde. Und als Hobbyfotografin höre ich auch sehr gern „Fotomenschen“ von Dirk Primbs, der in jeder Episode spannende Geschichten aus der Welt der Fotografie erzählt. Außerdem höre ich viel Journalistisches, etwa „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ in dem Sham Jaff und Alena Jabarine nicht über, sondern mit den Angehörigen der Opfer von Hanau gesprochen haben und der Frage nachgehen, wie es zum Anschlag kommen konnte.
DG: Vielen Dank!
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[Titelbild: Fünf Mitglieder vom «Verein für Frauenstimmrecht» ca. 1896, Wikimedia Commons]