Warum ist Weihnachten am 7. Januar? Wolfgang Reinbold im Interview
Kurz, fundiert und unterhaltsam beantwortet der Theologe Dr. Wolfgang Reinbold häufig gestellte Fragen aus der Welt der Religionen. Kurz vor den Feiertagen verrät er uns, wie ihm das gelingt und was es mit dem vermeintlich schrägen Weihnachtsdatum auf sich hat.
Wie weit reicht die Schweigepflicht einer Pastorin? Wer sind die Zionisten? Kann jeder eine Kirche gründen? Und was genau ist eigentlich ein Kalifat? Um diese und andere große Fragen aus der Welt der Religionen zu beantworten, füllen Akademiker und Akademikerinnen mitunter ganze Buchreihen. In der Infotainment-Serie „Religion in 90 Sekunden“ jedoch hat es sich der Theologe Dr. Wolfgang Reinbold zur Aufgabe gemacht, die Dinge kurz und knackig auf den Punkt zu bringen.
Wolfgang Reinbold ist Professor für Neues Testament an der Georg-August-Universität Göttingen und Beauftragter für Interreligiösen Dialog der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover. Darüber hinaus ist er Autor der Taschenbücher „Warum ist der Buddha so dick?“ und „Warum ist Weihnachten am 7. Januar?“, in denen man seine „Blitzantworten“ auf jeweils 101 bunt gemischte religiöse Fragen nachlesen kann.
Anlässlich der besinnlichen Jahreszeit – in der auch religiöse Themen für viele Menschen keine ganz unwesentliche Rolle spielen – haben wir Wolfgang Reinbold zum Interview eingeladen. Unter anderem wollten wir dabei von ihm wissen, wie die Serie entstanden ist, welche Herausforderungen damit verbunden sind und was es denn nun mit dem 7. Januar auf sich hat. Für die Beantwortung unserer Fragen durfte der Theologe ausnahmsweise auch mal die Stoppuhr ignorieren.

Alexandra Hinz: Herr Dr. Reinbold, in der Serie „Religion in 90 Sekunden“ – ausgestrahlt im Radio und Fernsehen sowie auf Youtube und Tiktok – beantworten Sie häufig gestellte Fragen aus der Welt der Religionen. Wie kam es zu dem Format?
Wolfgang Reinbold: Seit vielen Jahren engagiere ich mich im Interreligiösen Dialog und führe interreligiöse Gespräche. 2012 haben wir uns entschieden, diese Gespräche zu filmen und im Internet zur Verfügung zu stellen. Das schien uns insbesondere im Blick auf die den Islam betreffenden Themen wichtig. Damals war „Islam“ ein großes Thema in den Talkshows, und die Redaktionen luden gern Leute aus dem salafistischen Milieu ein. Für viele Musliminnen und Muslime, mit denen ich zu tun habe, war das furchtbar. Da saßen im Fernsehen Leute, die über einen Islam redeten, der mit dem von ihnen selbst gelebten Islam wenig bis gar nichts zu tun hatte. Dem wollten wir eine sachliche, unaufgeregte Diskussion entgegenstellen. So kam es zur Gründung von www.religionen-im-gespraech.de.
AH: Und aus diesem Format heraus entstand dann „Religion in 90 Sekunden?“
WR: Genau, ja. „Religionen im Gespräch“ wird vom Evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen-Bremen (ekn) hergestellt. Ekn produziert darüber hinaus viele andere Sendungen, vor allem für das Radio. So entstand nach einigen Jahren die Idee: Lasst uns doch aus einem der evangelischen Radio-Formate ein interreligiöses Format machen und Fragen zu den Religionen beantworten. 2020 ging es los mit „Religion in 60 Sekunden“. Die Sendung hat pro Folge rund eine Million Zuhörer und Zuhörerinnen, und wir bekamen viele positive Rückmeldungen. Nach 100 Folgen haben wir dann ein erstes Taschenbuch daraus gemacht, „Warum ist der Buddha so dick“? Und dann kam die Anfrage der Evangelischen Kirche in Deutschland, ob wir nicht ein 90-Sekunden-Format für ProSieben produzieren könnten. So kam es zu „Religion in 90 Sekunden“.
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AH: Was reizt Sie daran, komplexe Themen aus den Religionen kurz und kompakt zu erklären?
“Aus einem durch und durch christlichen Land ist ein religiös und weltanschaulich vielfältiges, ein ‚multireligiöses’ Land geworden.”
WR: Ich halte das für eine sehr wichtige Aufgabe. Denn es ist ja so: Bis vor kurzem fiel die religiöse Orientierung in Deutschland nicht schwer. Noch als ich zur Schule ging, genügte es in der Regel, zu fragen: „Bist du evangelisch oder katholisch?“ Seither hat sich die Lage grundlegend verändert. Aus einem durch und durch christlichen Land ist ein religiös und weltanschaulich vielfältiges, ein „multireligiöses“ Land geworden. Die Schulkinder von heute sind christlich, muslimisch, alevitisch, ezidisch, jüdisch, buddhistisch, hinduistisch, bahai, sikh und so weiter. Oder sie haben keine Religion. Diese neue Situation bringt eine Fülle neuer Fragen mit sich, auch im Blick auf das scheinbar altbekannte Christentum. Diese Fragen versuchen wir zu beantworten, kurz, fundiert, verständlich und unterhaltsam.
AH: Gibt es Fragen von Zuhörenden und Zuschauenden, die besonders häufig gestellt werden?
WR: Einen besonderen Schwerpunkt können wir bisher nicht feststellen. Die Zuschauer bzw. Zuhörerinnen stellen Fragen zu allen Religionen und Weltanschauungen. Einige sind sehr speziell und fragen nach Begriffen, die nur wenige Eingeweihte kennen. Andere stellen grundlegende Fragen. Ein paar zufällige Beispiele aus den letzten Wochen: Erklären Sie mal die assyrische Kirche des Ostens. Was ist Sikhismus? Erklären Sie doch mal den heiligen Geist. Wer sind Charismatiker? Warum heißt es „Klagemauer“? Sind Zoroastrismus und jesidische Religion dasselbe? Stimmt es, dass das Frauenbild im Islam besser ist als sein Ruf? Was ist mit den Alawiten (Nusairiern)? Wie lässt sich die Dreieinigkeit erklären? Sie sehen: Es ist alles dabei.
“In den Antworten versuche ich immer, die DNA des Themas zu erfassen.”
AH: Welches Video oder Thema war für Sie selbst die größte Herausforderung, in nur 90 Sekunden zu erklären?
WR: Das ist oft herausfordernd, und ich selbst lerne bei jeder Frage dazu, manchmal auch grundlegend. In den Antworten versuche ich immer, die DNA des Themas zu erfassen. Also: Was ist der Kern der Frage bzw. des Themas? Das führt sehr häufig dazu, dass ich eine Entwicklung über viele Jahrhunderte und durch mehrere Sprachen und Kulturräume in drei oder vier Sätzen zusammenfassen muss, und zwar so, dass daran nichts falsch ist. Das ist oft sehr kompliziert, und es dauert, bis ich die Antwort so vorgedacht habe, dass ich dafür im Live-Gespräch mit Markus Grieger nicht länger brauche als eine Minute einundzwanzig. Denn mehr Zeit haben wir nicht, da ist das Kamerateam streng.
AH: Warum haben Sie für Ihr neues Buch ausgerechnet die Frage „Warum ist Weihnachten am 7. Januar?“ als Titel gewählt?
WR: Wir wollten eine Frage auf dem Titel haben, die den Lesern und Leserinnen bekannt ist und die sie zugleich irritiert. Mit „Weihnachten“ kann vermutlich jeder in diesem Land etwas anfangen. Aber der „7. Januar“ irritiert. Es ist das falsche Datum, das, so stellen wir uns das vor, Neugier weckt. Stimmt das denn? Und wenn ja: Für wen trifft das zu? Und wie kommt es zu diesem schrägen Datum? Meine Erfahrung ist: Jeder, der die Frage hört, sucht sofort nach einer möglichen Erklärung. Und in der Regel kommt man dann schnell in eine Diskussion, weil es überhaupt nicht klar ist, wie dieses Datum zustande kommt.
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AH: Für unsere Leser*innen, die das Buch (noch) nicht in den Händen halten – wie würden Sie diese Frage in aller Kürze beantworten?
WR: Das Datum hat zu tun mit Julius Cäsar. Das war übrigens ein weiterer Grund, warum wir diesen Titel gewählt haben. Ich bin in der Schule mit Cäsar groß geworden und wollte immer schon mal ein Buch mit Cäsar auf dem Cover machen. Und die Kollegen fanden das auch cool.
Also: Cäsar hat damals den sogenannten „julianischen Kalender“ eingeführt (denn Cäsar hieß mit Familiennamen „Julius“). Dieser Kalender war bis ins 16. Jahrhundert üblich. Dann ging er so stark nach, dass er korrigiert werden musste, indem man zehn Tage übersprang. Und nun kommt es: Die Entscheidung, dass der Kalender korrigieren werden muss, traf ein Papst. Und da haben die anderen Kirchen gesagt: Da machen wir nicht mit. So kommt es, dass viele orthodoxe Kirchen bis heute die Festtage nach dem alten Kalender berechnen. Und der geht heute 13 Tage nach. Also: 25 Dezember + 13 = 38. Dezember = 7. Januar.
AH: Gibt es einen weiteren spannenden oder kuriosen Fakt über Weihnachten, den Sie besonders gerne erläutern?
WR: Aus interreligiöser Perspektive finde ich besonders interessant, dass einige der mit Weihnachten verbundenen Bräuche auch in anderen Religionen üblich werden bzw. auf sie abfärben. Nicht wenige Nicht-Christen stellen sich Weihnachtsbäume ins Wohnzimmer, weil sie das so schön finden mit dem Grün und den Lichtern und der Wärme, die der Baum ausstrahlt. Viele Familien schenken sich etwas, völlig unabhängig von der Religion. Und ganz spannend: Unter den deutschen Musliminnen und Muslimen verbreitet sich mehr und mehr der Brauch, dass sie ihren Kindern im Ramadan „Ramadankalender“ schenken, mit 30 Türchen, hinter denen sich Süßigkeiten für das Fastenbrechen am Abend verstecken. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich die religiösen Traditionen weiterentwickeln und wie die Religionen, wenn es gut geht, voneinander profitieren können.
[Title image by Yaryna Bondarchuk/iStock/Getty Images Plus]
