Verehrt, verachtet, vergessen – der Komponist Giacomo Meyerbeer (1791–1864)

Seine Opern waren die gesellschaftlichen Großevents ihrer Zeit, er selbst das Zentrum antisemitischer Shitstorms: Giacomo Meyerbeer, Berliner, Pariser, Weltbürger, steht exemplarisch für die Licht- und Schattenseiten der 1.700-jährigen deutsch-jüdischen Geschichte.

Wenige Monate vor seinem Tod notierte Giacomo Meyerbeer ein Gebet in sein Tagebuch, wie es die Gewohnheit dieses tiefgläubigen Mannes war: Seinen Werken möge ein Fortbestehen auf den Bühnen der Welt für ein halbes Jahrhundert beschieden sein. Der Wunsch ging in Erfüllung, und er war auch bescheiden genug, führt man sich vor Augen, dass es der berühmteste, meistgespielte Opernkomponist seiner Zeit war, der ihn niederschrieb. Aber er war eben zugleich ein gehasster – vielleicht der meist gehasste und verunglimpfte der Musikgeschichte überhaupt.

Kritiker des Fanatismus

Um das Geflecht von übler Nachrede und Verleumdung, das sich nach seinem Tod immer dichter als Schatten über die Rezeption seiner Werke legen und diese schließlich vollends verdunkeln sollte, wusste Meyerbeer schon zu Lebzeiten sehr genau. Was ihn zum Hassobjekt machte, war nicht seine Musik, es war die Tatsache, dass er Jude war.

“Was ihn zum Hassobjekt machte, war nicht seine Musik, es war die Tatsache, dass er Jude war.”

Was zeitgenössische Kritiker Meyerbeer vorwarfen, lässt sich auf außermusikalische antisemitische Stereotype zurückführen, die, als seriöse Musikkritik getarnt, auf sein Werk projiziert wurden. Insbesondere Robert Schumann und Richard Wagner hatten und haben einen prägenden Einfluss auf das Bild Meyerbeers im späten 19., im 20. und noch im 21. Jahrhundert. Ihre judenfeindlichen Vorbehalte gegen ihn haben unter der Hand ihren Weg in Generationen deutschsprachiger Musikliteratur gefunden (vgl. z.B. Hugo Riemann, Geschichte der Musik seit Beethoven, Berlin/Stuttgart 1901, insbes. S. 341f.; Hans Joachim Moser, Musiklexikon, 3. Aufl., Hamburg 1951, S. 705) und klingen ungewollt noch in mancher aktuellen Rezension von Meyerbeeraufführungen nach.

Giacomo Meyerbeer
Giacomo Meyerbeer, Lithografie von Josef Kriehuber, 1847 (Wikimedia Commons)

Dabei war seine Religion durchaus entscheidend für seine größten Werke Les Huguenots, Le Prophète und Vasco de Gama, sofern die fortwährende Ausgrenzung und Stigmatisierung, der er unentrinnbar ausgesetzt war (und deren öffentliches Objekt er, je berühmter er wurde, umso mehr war), eine Kritik religiösen und überhaupt jeden Fanatismus’ in das Zentrum seines Denkens und Komponierens rücken ließ.

Meyerbeer steht quer zu der geschichtsfernen Weltanschauung Wagners. Seine Werke sind geprägt von überforderten, zögerlichen, hin- und hergerissenen, kurz: menschlichen, realistischen Figuren, die im Strudel historischer Ereignisse mitgerissen werden. Und doch gibt es Einzelne, die sich der blinden, gewalttätigen Masse entgegenstellen. Meist sind das bei Meyerbeer nicht die Männer, sondern starke, emanzipierte, mutige Frauen.

Meyerbeer wird vergessen – und wiederentdeckt

Es gehört zu den grausigen Triumphen des Antisemitismus und seiner Kulmination im Nationalsozialismus, dass er solche künstlerischen Großtaten dauerhaft aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängt hat. Meyerbeer wurde so gründlich vergessen, auch in seiner Heimatstadt Berlin, dass kaum etwas an diesen Komponisten von Weltrang erinnert.

Sein Grab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee ist immerhin erhalten und am Pariser Platz, seinem letzten Berliner Wohnsitz, findet sich eine Erinnerungsplakette, so versteckt allerdings, dass nur jene, die gezielt nach ihr suchen, sie auch finden. Wo aber einst die Villa Beer ein gesellschaftliches Zentrum des bürgerlichen Berlins bildete – ungefähr dort, wo heute das Bundeskanzleramt steht –, erinnert nichts an ihn oder seine Familie, etwa seine Mutter Amalie Beer mit ihrem bedeutenden Salon.

Grab von Meyerbeer
Grab von Giacomo Meyerbeer (private Aufnahme)

Erst in den letzten Jahren wurden seine Werke wieder verstärkt entdeckt und aufgeführt; im Repertoire der Opernhäuser sind sie freilich (noch) nicht. Jüngst wurde zum 230. Geburtstag des Komponisten die Giacomo-Meyerbeer-Gesellschaft gegründet, in der Deutschen Oper Berlin, die sich wie kein anderes Opernhaus der Welt in den letzten Jahren für Meyerbeer eingesetzt hat. Man kann der Gesellschaft nur alles Gute und Meyerbeer viele Hörer und Zuschauer wünschen. Und Leser – mit der Edition “Briefwechsel und Tagebücher” die bei De Gruyter erschienen ist.

[Titelbild: Portrait von Giacomo Meyerbeer aus der Sammlung des British Museum]

Andreas Rupschus

Dr. Andreas Rupschus hat Geschichte und Philosophie studiert und arbeitet als Lehrer in Berlin.

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