„Seine Lebensgeschichte ist filmreif“: Ein Interview mit Liliane Weissberg über Benjamin Veitel Ephraim (1742–1811)

Kaufmann, Schriftsteller, Spion – Benjamin Veitel Ephraims Lebensgeschichte bietet Stoff für mehrere Abenteuerfilme und ist doch weitestgehend in Vergessenheit geraten. Anlässlich des Festjahres „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ sprachen wir mit der Literaturwissenschaftlerin Liliane Weissberg über eine außergewöhnliche Gestalt der jüdischen Aufklärung.

Als wohlhabender Kaufmann, erster jüdischer Autor eines Dramas in deutscher Sprache und preußischer Geheimagent war Benjamin Veitel Ephraim (1742–1811) wohl das, was man getrost als Tausendsassa bezeichnen kann.

Unglaublicherweise ist diese schillernde Gestalt des achtzehnten Jahrhunderts heute weitestgehend vergessen – doch Liliane Weissberg, Professorin für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Pennsylvania, möchte genau das ändern. In der umfangreichen Edition „Benjamin Veitel Ephraim – Kaufmann, Schriftsteller, Geheimagent“ vereint sie sämtliche seiner Schriften und bietet uns eine detaillierte Schilderung seines abenteuerliches Lebens in der großen Umbruchszeit um 1800.

Wie kam es zu dieser Wiederentdeckung, was war besonders spektakulär an Ephraims Biographie und welche Bedeutung kommt seinem Wirken in der jüdischen Geschichte zu? All das und mehr durften wir von Liliane Weissberg persönlich erfahren. Das Gespräch führte Alexandra Hinz von De Gruyter.

Alexandra Hinz: Wie kam es zu Ihrem Interesse für das Leben und Werk von Benjamin Veitel Ephraim?

Liliane Weissberg: Ich hatte vor einigen Jahren begonnen, an frühen deutsch-jüdischen Autobiographien zu arbeiten—Texte, die im späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert geschrieben wurden. Jüdische Autoren wandten sich hier zum ersten Mal in deutscher Sprache auch an ein nichtjüdisches Publikum, um ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Da entdeckte ich ausgerechnet in der Free Library in Philadelphia ein seltenes Exemplar von Benjamin Veitel Ephraims „Über meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens“ (1807/1808).

Ephraims Vater, Heine Veitel Ephraim, war Hofjude bei Friedrich II.; er hatte mit minderwertigen Münzprägungen geholfen, den Siebenjährigen Krieg zu finanzieren und galt als einer der reichsten Bewohner Berlins. Über seinen jüngsten Sohn Benjamin gab es zwar viele Bemerkungen von Zeitgenossen, aber es war für mich schwierig, ein klares Bild von ihm zu gewinnen. Er war als junger Mann ein Schüler von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn und veröffentlichte politische und ökonomische Schriften. Er schrieb sogar ein Schauspiel. „Worthy“ (1776) war das erste Drama, das von einem Juden in deutscher Sprache verfasst und auch aufgeführt wurde.

Ephraim war vor allem aber ein Kaufmann, der sich nicht nur wie sein Vater im Gold- und Silberhandel profilierte, sondern auch eine Spitzenfabrikation in Potsdam aufbaute, Heimarbeit einführte, und mit seinen Manufakturen gerade ärmeren Jüdinnen aus dem Netze-Distrikt zu einem Einkommen verhalf. Zur Zeit der Französischen Revolution arbeitete er in Brüssel und vor allem in Paris als Geheimagent des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. Er schrieb einzigartige Augenzeugenberichte und Analysen über die politischen Ereignisse in Paris, und fügte seinen Briefen nach Berlin französische Revolutionspamphlete und Zeitungsausschnitte bei, die den Hof auf dem Laufenden halten sollten.

Brief von Benjamin Veitel Ephraim an den König Friedrich Wilhelm II
Brief von Benjamin Veitel Ephraim an König Friedrich Wilhelm II., Brüssel, 18. Oktober 1790. Zum Teil mit Zahlenchiffre der Geheimschrift verfasst; über der Chiffre befindet sich die am Hofe getätigte Dechiffrierung.

Ephraim wurde gleich zweimal verhaftet: In Paris unter dem Verdacht, gegen Frankreich zu spionieren; später in Berlin unter dem Verdacht, für Frankreich zu spionieren. Er war ein Monarchist, aber auch begeistert von den neuen Ideen und von Paris; er lernte dort eine ihm bislang unbekannte Freiheit kennen. Er hatte Zutritt zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen. In Berlin konnte er sich zwar Geheimrat nennen, aber er war kein preußischer Bürger. Ephraim starb, verarmt, 1811—ein Jahr vor der Emanzipation der Juden in Preußen. Ich fand es nun spannend, zum ersten Mal Ephraims Schriften zu sammeln und sein erstaunliches Leben zu erforschen, das nur in Grundzügen bekannt war.

AH: Ephraim führte ein – im wahrsten Sinne des Wortes – bewegtes Leben, pendelte unter anderem zwischen Berlin und Paris. Was bedeutete das für Ihre Recherchen?

LW: Meine Arbeit an diesem Buch verlief zunächst neben anderen Projekten; ich musste mir während der Sommermonate die Zeit für eine intensive Archivarbeit nehmen. Da gab es vor allem die reichen Bestände im Geheimen Preußischen Staatsarchiv, die Jahre nach der Wiedervereinigung aus der ehemaligen DDR nach Berlin zurückgekehrt sind. Dort konnte ich Ephraims Geheimberichte einsehen, die zum größten Teil auch verschlüsselt waren, von Beamten wiederum teilweise dechiffriert wurden und mit Kommentaren versetzt. Weitere Dokumente fanden sich im Landesarchiv in Potsdam, aber natürlich auch im Nationalarchiv in Paris, denn Ephraim stand in Paris unter Beobachtung. In der Pariser Nationalbibliothek fand ich auch die politischen Pamphlete, die sich gegen Ephraim richteten, und in Paris anonym publiziert wurden.

Um sein Leben erzählen zu können, forschte ich in zeitgenössischen Zeitungen und suchte Bilder von Personen und Orten. Ephraims Buchpublikationen selbst sind nur in sehr wenigen Exemplaren erhalten, manche waren bekannt, aber galten als verloren. Ein Exemplar der französischen Übersetzung seiner Autobiographie liegt in der Israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem. Ich bin froh, bislang unbekannte Aufsätze von ihm und Rezensionen seiner Werke in Zeitschriften entdeckt zu haben. Meine Archivarbeit betraf dabei nicht nur das Werk Ephraims selbst; ich suchte auch nach Material für den kritischen Kommentar.

AH: Hat Sie bei Ihren Nachforschungen etwas besonders überrascht?

LW: Es gab für mich fortwährend Überraschungen. Ich entdeckte zum Beispiel einen Aufsatz Ephraims zur Diskussion über eine Emanzipation der Juden, die er wohl vor der Jahrhundertwende schrieb, allerdings erst 1806 publizierte — gerade zu der Zeit, als Napoléon die Gleichstellung der religiösen Religionsgemeinschaften in Frankreich beschloss. Ephraim prozessierte sich oft, und in seinen Gerichtsakten zu einem geschäftlichen Streitfall fand ich beigelegte Beispiele seiner Spitzenproduktion. Selbst das Museum des Großen Waisenhauses in Potsdam hatte keine Exemplare der dort in der Ephraimschen Manufaktur hergestellten Textilien.

“Nichts in seinem Leben war vorhersehbar, vieles einfach überaus abenteuerlich, ja pikaresk.”

Neben diesen und anderen materiellen Funden waren es vor allem die unglaublichen Geschichten, die mich erstaunten und berührten, die Abenteuer die er erlebte, die Begegnungen und Freundschaften mit den Pariser Revolutionären, von denen er berichtete. Nichts in seinem Leben war vorhersehbar, vieles einfach überaus abenteuerlich, ja pikaresk. Seine Lebensgeschichte ist filmreif.

AH: Wir feiern in diesem Jahr 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Ephraims Wirken für die jüdische Geschichte ein?

LW: Ephraim ist in jedem Sinne eine ungewöhnliche Gestalt – er war ein Mann, der sich durch seinen Reichtum Vieles leisten konnte und sich durch Selbstbewusstsein und eine erstaunliche Naivität auf viele Abenteuer einließ. Er war sicherlich nicht der beste politische Schriftsteller, Dramatiker, Kaufmann, Spion. Aber er verfolgte diese Interessen mit einer ungewöhnlichen Leidenschaft und testete damit die Möglichkeiten, die einem Juden in der Zeit vor der Emanzipation gegeben waren. Er wird sicherlich als eine der außergewöhnlichsten Gestalten der jüdischen Aufklärung in die jüdische wie die Berliner Geschichte eingehen.  Ich hoffe, dass der hier publizierte Band der Schriften Ephraims und meine ausführliche Darstellung seines Lebens und Werks aber auch helfen wird, diese Zeit neu zu sehen und zu verstehen.

Ephraimspalais
Das wiederaufgebaute Ephraim-Palais am Rande des Nikolaiviertels in Berlin-Mitte (Foto: Liliane Weissberg)

AH: Was erinnert uns heute noch an Benjamin Veitel Ephraim?

LW: Von Ephraim selbst ist kein Bild bekannt. Aber in der Nähe der Nikolaikirche in Berlin steht heute das wiedererrichtete Ephraim-Palais, in dem er wohnte; dort befindet sich heute das Berliner Stadtmuseum. Das imposante Gebäude wurde 1762-66 von seinem Vater erbaut. In diesem Haus befand sich auch eine der ersten privaten Kunstsammlungen Berlins. Nachfahren der Familie Ephraim werden vielen Lesern ebenfalls bekannt sein: Der Psychologe William Stern, der Philosoph Günther Anders, der Kunsthistoriker Rudolf Wittkower.

AH: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Weissberg!

[Titelbild: “Das Ephraim’sche Haus in der Poststraße in Berlin. Nach einer Originalzeichnung von Professor Doepler in Berlin (1874)” via Wikimedia Commons]

Liliane Weissberg

Liliane Weissberg ist Professorin für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der School of Arts and Sciences, University of Pennsylvania (USA). Ihr Forschungsschwerpunkt liegt derzeit auf der Wiederentdeckung der deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturtradition vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert.

Alexandra Hinz

Alexandra Hinz ist Digital Communications Editor bei De Gruyter. Sie können sie via conversations@degruyter.com kontaktieren.

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